Medienfake-Geschichte
herr denes, 01:39Uhr
Fälschungen, Fakes gehören seit seinen Anfangstagen zum Journalismus. Einen relativ umfangreichen Überblick über die Geschichte der Erfindungen in redaktionellen Beiträgen gibt der entsprechende Abschnitt aus der Magisterarbeit von Benjamin Denes. Die im Aufsatz gemachten Literaturangaben mailt Ihnen der Autor gerne auf Anfrage zu.
Eine kurze Kulturgeschichte der journalistischen Fälschung
"Nachrichtenfälscher sind am Werk, seitdem es die Presse gibt", schreibt Haller (2000a: 68), auch weil es früher für die Rezipienten noch schwerer war Fakes als solche auszumachen. Zu den prominenten Produzenten des frühen fiktionalen Journalismus zählten Edgar Allen Poe, der in einem im Jahre 1844 in der New York Sun erschienenen Artikel die erste Atlantiküberquerung in einem Heißluftballon um 134 Jahre vorwegnahm (Ulfkotte 2001: 11) und Mark Twain, der sich wie Poe vor seiner schriftstellerischen Karriere als Journalist bemühte. Er griff die Legende von einem versteinerten Mann auf und narrte damit 1861 die Leser der Territorial Enterprise in Virginia (Ulfkotte 2001: 13). Auch am Anfang des 20.Jahrhunderts gab es Fälscher, wie den Reporter Ben Hecht, der das Chicago Daily Journal mit Schlagzeilen versorgte, "(…)die die Konkurrenz erblassen ließen. ‚Erdbeben zerreißt Chicago' stand in riesigen Lettern über einem vier Spalten breiten Photo der großen Kluft, die das Beben in den Lincoln Parc Beach gerissen haben sollte. Ganze zwei Stunden hatten Hecht und sein Photograph im Sand gegraben, um ein möglichst überzeugendes Photo zu schießen." (Mayer 1998: 84)
In Deutschland gilt als eines der ersten Fakes die von der Hamburger Zeitschrift Minerva zwischen 1797 und 1799 lancierte Legende der sogenannten "Potemkinschen Dörfer" (Ulfkotte 2001: 74). Als eine frühe Form des freien Mitarbeiters betätigte sich Arthur Schütz, der Erfinder des "Grubenhundes" (vgl. Mayer 1998: 23f.), in dem er der Wiener Neuen Freien Presse wiederholt erfundene Meldungen zukommen ließ. "Sein stärkstes Stück erschien am 18. November 1911 - ein Bericht über ein angebliches Erdbeben im Ostrauer Kohlerevier, in dem es hieß, dass der "im Laboratorium schlafende Grubenhund schon eine halbe Stunde vor Beginn des Bebens auffallende Zeichen größter Unruhe gab." Jeder halbwegs informierte Zeitgenosse hätte wissen müssen, dass in der Bergwerkersprache der "Hund" eine handgezogene Lore bedeutete." (Haller 2000a: 69)
In dieser Zeit setzten sich auch im deutschen Sprachraum mediale Fakes mehr und mehr durch. Erich Kästner, der in seinem Roman "Fabian" auch das Ausschmücken von Zeitungsmeldungen mit erfundenen Tatsachen beschreibt, sagte nach seiner Zeit als angestellter Redakteur: "Meldungen, deren Unwahrheit nicht oder erst nach Wochen festgestellt werden kann, sind wahr" (Kästner zit. nach Mayer 1998: 87).
Ohne im Sinne der in der vorliegenden Untersuchung geltenden Definition ein Fake zu sein, darf in dieser Chronologie nicht die von Orson Wells geschriebene Hörspielfassung "Krieg der Welten" fehlen. Die auf einem Roman von H.G. Wells aufbauende Radiosendung wurde im Oktober 1938 vom Sender CBS von New York aus in die gesamten USA übertragen. Das Hörspiel handelte von der Invasion von Marsmenschen in New Jersey und wurde geschickt in das laufende Programm integriert, es gab Live-Schaltungen, Expertisen und sich permanent verändernde Nachrichten, gewissermaßen im Stile der "Breaking News" von CNN. Unklar ist bis heute, inwieweit die Massenpanik, welche die Ausstrahlung von "Krieg der Welten" im Einzugsgebiet von CBS ausgelöst haben soll, wirklich stattgefunden hat (vgl. Mayer 1998: 131ff.).
Sprunghaft angestiegen ist die Anzahl der enttarnten Elaborate des fiktionalen Journalismus seit Anfang der Siebzigerjahre, über die Gründe wird im nächsten Kapitel zu sprechen sein. Ramonet (1999) sieht die modernen Gesellschaften in der "Kommunikationsfalle" und vermutet die Ursache in einer veränderte Auffassung von Journalismus in den letzten dreißig Jahren: "[V]erschiedene Gründe - technologischer, politischer, wirtschaftlicher und rhetorischer Art - haben mitgewirkt" (Ramonet 1999: 55). Man kann diese Entwicklung am veränderten Realitätsempfinden der Rezipienten messen: "In unserem intellektuellen Umfeld zählt vornehmlich die mediale Wahrheit. Welches ist diese Wahrheit? Wenn Presse, Radio und Fernsehen hinsichtlich eines Ereignisses erklären, etwas sei wahr, dann steht fest, dass es auch wahr ist; selbst wenn es nicht wahr ist. Denn wahr ist fortan das, was die Gesamtheit der Medien für wahr erklärt." (Ramonet 1999: 57)
Diese Aussage bezieht sich nicht nur auf journalistische Fälschungen, sie schließt auch fiktionale Inhalte ein, die von PR oder Politikern lanciert werden. Dennoch kann auch für den fiktionalen Journalismus gelten, dass seine Elaborate als wahr gelten, solange sie von den Medien (und sei es nur das eine, das Fake veröffentlichende) für wahr erklärt werden. "Fälschungen haben in einer durch und durch öffentlichkeitsorientierten Welt enorme strategische Bedeutung", schreibt Müller-Ullrich (1996: 17), der ebenfalls "politische, wirtschaftliche oder kriminelle Absichten" dahinter vermutet (Müller-Ullrich 1996: 17). Mediale Fakes sind nicht wahr und trotzdem vorstellbar, deswegen können sie für ihre Urheber sehr wertvoll sein: "Heute liegt der Marktwert einer Information in der Anzahl von Personen, die sich für sie interessieren könnten. Diese Zahl hat indes nichts mit der Wahrheit zu tun" (Ramonet 1999: 95).
Mit den Fälschungen nahm auch die Anzahl ihrer Enttarnungen zu. Stellvertretend für die Elaborate jener Fake-Moderne kann die weltweit vermutlich bekannteste journalistische Erfindung als Beispiel dienen: "Jimmy's World" lautete der Titel einer Reportage der jungen Redakteurin Janet Cooke, die im Jahr 1980 bei der Washington Post eingestellt worden war. Sie erhielt im September des gleichen Jahres als einen der ersten Aufträge, dem Gerücht nachzugehen, in einem Krankenhaus der Stadt werde ein achtjähriger Junge behandelt, der heroinabhängig sei (Cooke 1980: Anlage I; vgl. Ulfkotte 2001: 46f.). Cooke suchte vergeblich nach dem Jungen und unterlag dem Reiz, die Geschichte zum Gerücht einfach zu erfinden. Der Erfolg bei den Lesern war beträchtlich und so erhielt sie nicht einmal ein Jahr nach ihrer Anstellung den renommierten Pulitzerpreis. Groß war die Ernüchterung, als sich herausstellte, dass ausgerechnet bei dem Blatt, dass knapp zehn Jahre zuvor die "Watergate-Affäre" aufgedeckt hatte, ein reines Fake erschienen war (vgl. Mayer 1998: 79ff.; Ramonet 1999: 81). Die Fake-Moderne war außerdem von Fälschern wie Christoph Jones, der für die New York Times 1981 erfundene Frontreportagen aus Kambodscha ablieferte (Ramonet 1999: 81) und natürlich von Konrad Kujau und Gerd Heidemann geprägt.
Das bislang bekannteste deutsche Fake und international ebenfalls stark beachtet sind fraglos die sogenannten "Hitler-Tagebücher". Was der stern-Redakteur Heidemann aus einer Idee des Kunstfälschers Kujau gemacht hatte, sollte später sogar den Stoff für den erfolgreichen Kinofilm "Stonk!" liefern und war für die deutsche Presselandschaft ein "Supergau" (Haller 2000a: 68). Am 28. April 1983 erschien der stern mit dem Titel "Hitlers Tagebücher entdeckt". Eben diese hatten Gerd Heidemann und Konrad Kujau gefälscht, insgesamt hatte das Magazin knapp 10 Millionen Mark für das Fake bezahlt. Kujau und Heidemann kamen ins Gefängnis (siehe auch Abschnitt 5.3), die damaligen Chefredakteure Koch und Schmidt mussten ihren Hut nehmen (Ulfkotte 2001: 50f.; Mayer 1998: 151ff.). In der Folgezeit kam es zu Diskussionen über die Mitverantwortung des Journalisten Heidemann an der von Kujau initiierten Fälschung, bei der nicht nur die stern-Redaktion versuchte, das Medienunternehmen und seine(n) Angestellten in der Opferrolle zu präsentieren (vgl. Ulfkotte 2001: 50ff.; Müller-Ullrich 1996: 195). Die "Hitler-Tagebücher", das wird unter anderem das vierte Kapitel dieser Arbeit zeigen, sind jedoch ganz gewiss eine Fälschung im Journalismus, auch wenn bei ihnen der Journalist "nur" als Partner aufgetreten ist. [top]
Zwei weitere Fälscher erregten in Deutschland danach die landesweite Aufmerksamkeit: Zunächst der für Boulevardmagazine wie stern TV arbeitende Filmemacher Michael Born. "In der Zeit von 1990 bis 1995 produzierte und verkaufte Born insgesamt 21 teilweise oder völlig gefälschte TV-Beiträge an die ARD, das ZDF, das Schweizer Fernsehen DRS, SAT 1, RTL, PRO 7 und VOX" (Morgenthaler 2000: 73). Unter den bekanntesten seiner Fakes waren der Beitrag über die vermeintlichen Untriebe des Ku-Klux-Klan in der Eifel (1994), die Reportage über deutsche Katzenjäger (1995) und der Filmbericht über einen von einem Krötensekret abhängigen Junkie (1994) (vgl. u.a. Born 1997: 111-166). Die teilweise äußerst liebevoll angefertigten Film-Fakes brachten ihren Macher ins Gefängnis, weil die Verantwortlichen von stern TV, um nicht selbst verfolgt zu werden, ihn angezeigt hatten. Born veröffentlichte ein Buch über seine Geschichte(n) und begann offensiv mit dem Thema umzugehen. Er wies auf das Mitwissen der gesamten Redaktion von stern TV (inklusive des Moderators Günther Jauch) hin, richtete eine Website ein, von der aus bis heute Videozusammenschnitte der "besten Fakes" verkauft werden.
Im Jahr 2000 wurde Tom Kummer, ein Mitarbeiter des Magazins der Süddeutschen Zeitung, beim Faken erwischt. Er hatte mehrere Interviews mit Prominenten gefälscht, hatte sich einzelne Passagen ausgedacht und andere aus Biographien und älteren Interviews zusammengeklaut. Im Nachhinein (also auf die Enttarnung folgend) unternahm Kummer den Versuch, seine Artikel "als Konzeptkunst zu verkaufen" (Franzetti 2000: 49). Er führte den Begriff des "Borderline-Journalismus" ein (Wolf 2000: 34) und merkte nicht ganz zu Unrecht an, dass Journalisten bei den meisten Interviews die überlangen, nicht wohlgeformten oder fremdsprachigen Antworten ihrer Gesprächspartner verändern würden (vgl. u.a. Ernst 2000). Kummer und auch die damaligen Chefredakteure des SZ-Magazin kostete sein Grenzgängertum zwischen Wirklichkeit und Fiktion den Job.
In den USA gab es in den letzten zehn Jahren eine Reihe weiterer prominenter Fälle des fiktionalen Journalismus, die enttarnt wurden. Stephen Glass, der unter anderem für das New York Times-Magazin und The New Republic fakte, die Kolumnisten Mike Barnicle und Patricia Smith, die vom Boston Globe wegen "news fabricating" entlassen wurden und zuletzt Michael Finkel, den das Magazin der New York Times für das Zusammenführen von mehreren Einzelschicksalen zu einem fiktiven Reportagehelden entließ. Einige der Fälschungen dieser Autoren werden im Rahmen der Typologie journalistischer Fälschungen vorgestellt werden (Kapitel 4).
In einem geschichtlichen Überblick der medialen Fakes muss auch auf die Häufung derselben zu Kriegs- bzw. Krisenzeiten hingewiesen werden. Ramonet (1999) weist auf einige dieser Fälschungen hin, zu denen im Rahmen des Aufstandes in Rumänien die Inszenierung eines Massengrabes in Timisoara zählte. "Die auf weißen Leintüchern aufgereihten Leichen waren nicht die Opfer des Massakers vom 17. Dezember 1989, sondern vielmehr Tote, die man auf dem Armenfriedhof ausgegraben hatte (...)" (Ramonet 1999: 128). Wer die Fälschung initiiert hatte, ist bis heute unklar, fest steht lediglich, dass die Bilder von angeblich 60.000- 70.000 Leichen auf Fernsehkanälen rund um den Globus zu sehen waren, darunter auch ARD, ZDF und RTLplus. Das "Massaker von Timisoara" forderte, wie sich später herausstellte, jedoch "nur" einige Dutzend Todesopfer, in ganz Rumänien waren es 689 (Müller-Ullrich 1996: 145ff.). Im Golfkrieg betätigten sich vor allem die amerikanischen Medien als Mythenmacher, so institutionalisierten sie Symbole wie die Patriot-Rakete, die Gasmaske oder den Tarnkappenbomber als eine Art Füllfake, weil die "echten Kriegsbilder" fehlten (vgl. Ramonet 1999: 139ff). Diese Form der Propaganda gehört nicht zum Kern des Themas, weil derartige Manipulationen in der Regel eher von Militärs und Politikern lanciert werden, dennoch soll an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass mit dem wachsenden Engagement der Bundeswehr auch in deutschen Medien die Legitimationsfakes zugenommen haben. Die ARD-Dokumentation "Es begann mit einer Lüge" enthüllte beispielsweise reihenweise Fälschungen deutscher Medien im Zusammenhang mit dem Kosovo-Krieg und dem Massaker von Pristina (ARD, 8. Februar 2001).
Die Diskussion über Fiktionalität in der medialen Berichterstattung ist in den jüngeren Vergangenheit auch von einer Reihe von (Pseudo-)Events angeregt worden, die keine reinen Fakes und teilweise auch keine Belege für Faction waren und dennoch die Aufmerksamkeit auf das Thema lenkten. Der tragische Tod von Lady Di führte zu einem medialen "Kurzschlusseffekt (...), bei dem eine Figur aus einem Fortsetzungsroman oder einer Telenovela plötzlich zum Status einer Persönlichkeit aufsteigt, die der Qualitätspresse für würdig befunden wird" (Ramonet 1999: 15). Der von einem Paparazzi und der Yellowpress mitverschuldete Autounfall sorgte für eine Art institutionalisierter Entrüstung, vor allem freute sich das globale Nachrichten-Netzwerk über den ersten Informations-Megaevent, einen Fall "emotioneller Globalisierung" (Ramonet 1999: 15). Schon zuvor war eine fiktionale Blaupause von Dianas Persönlichkeit zum Gegenstand der Berichterstattung geworden, die zur tragischen Heldin gemacht werden sollte.
Zur Gattung der Gerüchte, von denen gerade die zuletzt genannten Mediengattungen gut leben, gehören auch die "self-fulfilling-prophecies". In Deutschland kann man wohl im Zusammenhang mit dem "Fall Joseph" von einer solchen sprechen. Die Bild hatte die Geschichte einer verzweifelten Mutter übernommen, die aus dem Badeunfall ihres kleinen Sohnes die heimtückische Straftat von Neonazis machte. Wenngleich dieser Fall, zumindest in der originären Berichterstattung nicht in den definierten Untersuchungsgegenstand gehört, (weil die Urheberin des Fakes keine Journalistin ist), werden am Beispiel Sebnitz alle Qualitäten deutlich, die fiktionaler Journalismus, hier die Spielart Faction, haben muss. Die Story muss nicht unbedingt wahr sein, sondern in einer Welt x nur vorstellbar. "Wir brauchen kontinuierliche Berichterstattung, wir brauchen Hintergrund. Dann gab es, das muss man auch positiv sehen, bei der Bild-Zeitung die Tendenz, sich ganz kritisch und intensiv mit dem Thema auseinander zu setzen. Das war ja auch nicht immer so. Und dann kommt diese wunderbare Story auf den Tisch. Die ist wie gemalt. Alles passt zusammen: Da ist dieser kleine Junge, die bringen den um, und am Beckenrand stehen 200 Bürger und klatschen Beifall. Das haben wir ja alle vor Augen gesehen. Und das war, um es zynisch zu sagen, viel zu schön, um wahr zu sein." (Weischenberg 2000: 47)
Das Schlimme am Fall Sebnitz ist vor allem die Tatsache, dass die rechtsextremen Kreise in Deutschland dadurch das Thema fiktionaler Journalismus aufs Neue für sich entdeckt haben und in Büchern und Zeitungsartikeln die Presse anprangerten.
Nicht zu vergessen sind schließlich die allzu oft von Fotomontagen illustrierten Gerüchte der Yellowpress über Prominente und vermeintlich Prominente. Es ist durchaus legitim, für eine Untersuchung medialer Fakes die diversen Gerichtsentscheidungen auf Unterlassung, Gegendarstellung oder gar Schmerzensgeld heranzuziehen (siehe auch 5.3). Ein Beispiel aus diesem Feld der medialen Fakes hat dabei wegen der Maßstäbe setzenden Prozesswelle besondere Beachtung erwähnt, nämlich die Berichterstattung über das Liebesleben von Caroline von Monaco (vgl. u.a. Ramonet 1999: 91). Zusammenfassend kann gesagt werden, dass mediale Fakes mit einiger Sicherheit so alt sein dürften wie der Journalismus selbst. Bemerkenswert ist die Anhäufung der enttarnten Fälle in den vergangenen 20 Jahren, die auch eine Zunahme der Fälschungen nahe legt. Die Determinanten für mediale Fakes sollen im kommenden Kapitel daher näher betrachtet werden, genauso ihre kommunikative und gesellschaftliche Wirkung.
Eine kurze Kulturgeschichte der journalistischen Fälschung
"Nachrichtenfälscher sind am Werk, seitdem es die Presse gibt", schreibt Haller (2000a: 68), auch weil es früher für die Rezipienten noch schwerer war Fakes als solche auszumachen. Zu den prominenten Produzenten des frühen fiktionalen Journalismus zählten Edgar Allen Poe, der in einem im Jahre 1844 in der New York Sun erschienenen Artikel die erste Atlantiküberquerung in einem Heißluftballon um 134 Jahre vorwegnahm (Ulfkotte 2001: 11) und Mark Twain, der sich wie Poe vor seiner schriftstellerischen Karriere als Journalist bemühte. Er griff die Legende von einem versteinerten Mann auf und narrte damit 1861 die Leser der Territorial Enterprise in Virginia (Ulfkotte 2001: 13). Auch am Anfang des 20.Jahrhunderts gab es Fälscher, wie den Reporter Ben Hecht, der das Chicago Daily Journal mit Schlagzeilen versorgte, "(…)die die Konkurrenz erblassen ließen. ‚Erdbeben zerreißt Chicago' stand in riesigen Lettern über einem vier Spalten breiten Photo der großen Kluft, die das Beben in den Lincoln Parc Beach gerissen haben sollte. Ganze zwei Stunden hatten Hecht und sein Photograph im Sand gegraben, um ein möglichst überzeugendes Photo zu schießen." (Mayer 1998: 84)
In Deutschland gilt als eines der ersten Fakes die von der Hamburger Zeitschrift Minerva zwischen 1797 und 1799 lancierte Legende der sogenannten "Potemkinschen Dörfer" (Ulfkotte 2001: 74). Als eine frühe Form des freien Mitarbeiters betätigte sich Arthur Schütz, der Erfinder des "Grubenhundes" (vgl. Mayer 1998: 23f.), in dem er der Wiener Neuen Freien Presse wiederholt erfundene Meldungen zukommen ließ. "Sein stärkstes Stück erschien am 18. November 1911 - ein Bericht über ein angebliches Erdbeben im Ostrauer Kohlerevier, in dem es hieß, dass der "im Laboratorium schlafende Grubenhund schon eine halbe Stunde vor Beginn des Bebens auffallende Zeichen größter Unruhe gab." Jeder halbwegs informierte Zeitgenosse hätte wissen müssen, dass in der Bergwerkersprache der "Hund" eine handgezogene Lore bedeutete." (Haller 2000a: 69)
In dieser Zeit setzten sich auch im deutschen Sprachraum mediale Fakes mehr und mehr durch. Erich Kästner, der in seinem Roman "Fabian" auch das Ausschmücken von Zeitungsmeldungen mit erfundenen Tatsachen beschreibt, sagte nach seiner Zeit als angestellter Redakteur: "Meldungen, deren Unwahrheit nicht oder erst nach Wochen festgestellt werden kann, sind wahr" (Kästner zit. nach Mayer 1998: 87).
Ohne im Sinne der in der vorliegenden Untersuchung geltenden Definition ein Fake zu sein, darf in dieser Chronologie nicht die von Orson Wells geschriebene Hörspielfassung "Krieg der Welten" fehlen. Die auf einem Roman von H.G. Wells aufbauende Radiosendung wurde im Oktober 1938 vom Sender CBS von New York aus in die gesamten USA übertragen. Das Hörspiel handelte von der Invasion von Marsmenschen in New Jersey und wurde geschickt in das laufende Programm integriert, es gab Live-Schaltungen, Expertisen und sich permanent verändernde Nachrichten, gewissermaßen im Stile der "Breaking News" von CNN. Unklar ist bis heute, inwieweit die Massenpanik, welche die Ausstrahlung von "Krieg der Welten" im Einzugsgebiet von CBS ausgelöst haben soll, wirklich stattgefunden hat (vgl. Mayer 1998: 131ff.).
Sprunghaft angestiegen ist die Anzahl der enttarnten Elaborate des fiktionalen Journalismus seit Anfang der Siebzigerjahre, über die Gründe wird im nächsten Kapitel zu sprechen sein. Ramonet (1999) sieht die modernen Gesellschaften in der "Kommunikationsfalle" und vermutet die Ursache in einer veränderte Auffassung von Journalismus in den letzten dreißig Jahren: "[V]erschiedene Gründe - technologischer, politischer, wirtschaftlicher und rhetorischer Art - haben mitgewirkt" (Ramonet 1999: 55). Man kann diese Entwicklung am veränderten Realitätsempfinden der Rezipienten messen: "In unserem intellektuellen Umfeld zählt vornehmlich die mediale Wahrheit. Welches ist diese Wahrheit? Wenn Presse, Radio und Fernsehen hinsichtlich eines Ereignisses erklären, etwas sei wahr, dann steht fest, dass es auch wahr ist; selbst wenn es nicht wahr ist. Denn wahr ist fortan das, was die Gesamtheit der Medien für wahr erklärt." (Ramonet 1999: 57)
Diese Aussage bezieht sich nicht nur auf journalistische Fälschungen, sie schließt auch fiktionale Inhalte ein, die von PR oder Politikern lanciert werden. Dennoch kann auch für den fiktionalen Journalismus gelten, dass seine Elaborate als wahr gelten, solange sie von den Medien (und sei es nur das eine, das Fake veröffentlichende) für wahr erklärt werden. "Fälschungen haben in einer durch und durch öffentlichkeitsorientierten Welt enorme strategische Bedeutung", schreibt Müller-Ullrich (1996: 17), der ebenfalls "politische, wirtschaftliche oder kriminelle Absichten" dahinter vermutet (Müller-Ullrich 1996: 17). Mediale Fakes sind nicht wahr und trotzdem vorstellbar, deswegen können sie für ihre Urheber sehr wertvoll sein: "Heute liegt der Marktwert einer Information in der Anzahl von Personen, die sich für sie interessieren könnten. Diese Zahl hat indes nichts mit der Wahrheit zu tun" (Ramonet 1999: 95).
Mit den Fälschungen nahm auch die Anzahl ihrer Enttarnungen zu. Stellvertretend für die Elaborate jener Fake-Moderne kann die weltweit vermutlich bekannteste journalistische Erfindung als Beispiel dienen: "Jimmy's World" lautete der Titel einer Reportage der jungen Redakteurin Janet Cooke, die im Jahr 1980 bei der Washington Post eingestellt worden war. Sie erhielt im September des gleichen Jahres als einen der ersten Aufträge, dem Gerücht nachzugehen, in einem Krankenhaus der Stadt werde ein achtjähriger Junge behandelt, der heroinabhängig sei (Cooke 1980: Anlage I; vgl. Ulfkotte 2001: 46f.). Cooke suchte vergeblich nach dem Jungen und unterlag dem Reiz, die Geschichte zum Gerücht einfach zu erfinden. Der Erfolg bei den Lesern war beträchtlich und so erhielt sie nicht einmal ein Jahr nach ihrer Anstellung den renommierten Pulitzerpreis. Groß war die Ernüchterung, als sich herausstellte, dass ausgerechnet bei dem Blatt, dass knapp zehn Jahre zuvor die "Watergate-Affäre" aufgedeckt hatte, ein reines Fake erschienen war (vgl. Mayer 1998: 79ff.; Ramonet 1999: 81). Die Fake-Moderne war außerdem von Fälschern wie Christoph Jones, der für die New York Times 1981 erfundene Frontreportagen aus Kambodscha ablieferte (Ramonet 1999: 81) und natürlich von Konrad Kujau und Gerd Heidemann geprägt.
Das bislang bekannteste deutsche Fake und international ebenfalls stark beachtet sind fraglos die sogenannten "Hitler-Tagebücher". Was der stern-Redakteur Heidemann aus einer Idee des Kunstfälschers Kujau gemacht hatte, sollte später sogar den Stoff für den erfolgreichen Kinofilm "Stonk!" liefern und war für die deutsche Presselandschaft ein "Supergau" (Haller 2000a: 68). Am 28. April 1983 erschien der stern mit dem Titel "Hitlers Tagebücher entdeckt". Eben diese hatten Gerd Heidemann und Konrad Kujau gefälscht, insgesamt hatte das Magazin knapp 10 Millionen Mark für das Fake bezahlt. Kujau und Heidemann kamen ins Gefängnis (siehe auch Abschnitt 5.3), die damaligen Chefredakteure Koch und Schmidt mussten ihren Hut nehmen (Ulfkotte 2001: 50f.; Mayer 1998: 151ff.). In der Folgezeit kam es zu Diskussionen über die Mitverantwortung des Journalisten Heidemann an der von Kujau initiierten Fälschung, bei der nicht nur die stern-Redaktion versuchte, das Medienunternehmen und seine(n) Angestellten in der Opferrolle zu präsentieren (vgl. Ulfkotte 2001: 50ff.; Müller-Ullrich 1996: 195). Die "Hitler-Tagebücher", das wird unter anderem das vierte Kapitel dieser Arbeit zeigen, sind jedoch ganz gewiss eine Fälschung im Journalismus, auch wenn bei ihnen der Journalist "nur" als Partner aufgetreten ist. [top]
Zwei weitere Fälscher erregten in Deutschland danach die landesweite Aufmerksamkeit: Zunächst der für Boulevardmagazine wie stern TV arbeitende Filmemacher Michael Born. "In der Zeit von 1990 bis 1995 produzierte und verkaufte Born insgesamt 21 teilweise oder völlig gefälschte TV-Beiträge an die ARD, das ZDF, das Schweizer Fernsehen DRS, SAT 1, RTL, PRO 7 und VOX" (Morgenthaler 2000: 73). Unter den bekanntesten seiner Fakes waren der Beitrag über die vermeintlichen Untriebe des Ku-Klux-Klan in der Eifel (1994), die Reportage über deutsche Katzenjäger (1995) und der Filmbericht über einen von einem Krötensekret abhängigen Junkie (1994) (vgl. u.a. Born 1997: 111-166). Die teilweise äußerst liebevoll angefertigten Film-Fakes brachten ihren Macher ins Gefängnis, weil die Verantwortlichen von stern TV, um nicht selbst verfolgt zu werden, ihn angezeigt hatten. Born veröffentlichte ein Buch über seine Geschichte(n) und begann offensiv mit dem Thema umzugehen. Er wies auf das Mitwissen der gesamten Redaktion von stern TV (inklusive des Moderators Günther Jauch) hin, richtete eine Website ein, von der aus bis heute Videozusammenschnitte der "besten Fakes" verkauft werden.
Im Jahr 2000 wurde Tom Kummer, ein Mitarbeiter des Magazins der Süddeutschen Zeitung, beim Faken erwischt. Er hatte mehrere Interviews mit Prominenten gefälscht, hatte sich einzelne Passagen ausgedacht und andere aus Biographien und älteren Interviews zusammengeklaut. Im Nachhinein (also auf die Enttarnung folgend) unternahm Kummer den Versuch, seine Artikel "als Konzeptkunst zu verkaufen" (Franzetti 2000: 49). Er führte den Begriff des "Borderline-Journalismus" ein (Wolf 2000: 34) und merkte nicht ganz zu Unrecht an, dass Journalisten bei den meisten Interviews die überlangen, nicht wohlgeformten oder fremdsprachigen Antworten ihrer Gesprächspartner verändern würden (vgl. u.a. Ernst 2000). Kummer und auch die damaligen Chefredakteure des SZ-Magazin kostete sein Grenzgängertum zwischen Wirklichkeit und Fiktion den Job.
In den USA gab es in den letzten zehn Jahren eine Reihe weiterer prominenter Fälle des fiktionalen Journalismus, die enttarnt wurden. Stephen Glass, der unter anderem für das New York Times-Magazin und The New Republic fakte, die Kolumnisten Mike Barnicle und Patricia Smith, die vom Boston Globe wegen "news fabricating" entlassen wurden und zuletzt Michael Finkel, den das Magazin der New York Times für das Zusammenführen von mehreren Einzelschicksalen zu einem fiktiven Reportagehelden entließ. Einige der Fälschungen dieser Autoren werden im Rahmen der Typologie journalistischer Fälschungen vorgestellt werden (Kapitel 4).
In einem geschichtlichen Überblick der medialen Fakes muss auch auf die Häufung derselben zu Kriegs- bzw. Krisenzeiten hingewiesen werden. Ramonet (1999) weist auf einige dieser Fälschungen hin, zu denen im Rahmen des Aufstandes in Rumänien die Inszenierung eines Massengrabes in Timisoara zählte. "Die auf weißen Leintüchern aufgereihten Leichen waren nicht die Opfer des Massakers vom 17. Dezember 1989, sondern vielmehr Tote, die man auf dem Armenfriedhof ausgegraben hatte (...)" (Ramonet 1999: 128). Wer die Fälschung initiiert hatte, ist bis heute unklar, fest steht lediglich, dass die Bilder von angeblich 60.000- 70.000 Leichen auf Fernsehkanälen rund um den Globus zu sehen waren, darunter auch ARD, ZDF und RTLplus. Das "Massaker von Timisoara" forderte, wie sich später herausstellte, jedoch "nur" einige Dutzend Todesopfer, in ganz Rumänien waren es 689 (Müller-Ullrich 1996: 145ff.). Im Golfkrieg betätigten sich vor allem die amerikanischen Medien als Mythenmacher, so institutionalisierten sie Symbole wie die Patriot-Rakete, die Gasmaske oder den Tarnkappenbomber als eine Art Füllfake, weil die "echten Kriegsbilder" fehlten (vgl. Ramonet 1999: 139ff). Diese Form der Propaganda gehört nicht zum Kern des Themas, weil derartige Manipulationen in der Regel eher von Militärs und Politikern lanciert werden, dennoch soll an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass mit dem wachsenden Engagement der Bundeswehr auch in deutschen Medien die Legitimationsfakes zugenommen haben. Die ARD-Dokumentation "Es begann mit einer Lüge" enthüllte beispielsweise reihenweise Fälschungen deutscher Medien im Zusammenhang mit dem Kosovo-Krieg und dem Massaker von Pristina (ARD, 8. Februar 2001).
Die Diskussion über Fiktionalität in der medialen Berichterstattung ist in den jüngeren Vergangenheit auch von einer Reihe von (Pseudo-)Events angeregt worden, die keine reinen Fakes und teilweise auch keine Belege für Faction waren und dennoch die Aufmerksamkeit auf das Thema lenkten. Der tragische Tod von Lady Di führte zu einem medialen "Kurzschlusseffekt (...), bei dem eine Figur aus einem Fortsetzungsroman oder einer Telenovela plötzlich zum Status einer Persönlichkeit aufsteigt, die der Qualitätspresse für würdig befunden wird" (Ramonet 1999: 15). Der von einem Paparazzi und der Yellowpress mitverschuldete Autounfall sorgte für eine Art institutionalisierter Entrüstung, vor allem freute sich das globale Nachrichten-Netzwerk über den ersten Informations-Megaevent, einen Fall "emotioneller Globalisierung" (Ramonet 1999: 15). Schon zuvor war eine fiktionale Blaupause von Dianas Persönlichkeit zum Gegenstand der Berichterstattung geworden, die zur tragischen Heldin gemacht werden sollte.
Zur Gattung der Gerüchte, von denen gerade die zuletzt genannten Mediengattungen gut leben, gehören auch die "self-fulfilling-prophecies". In Deutschland kann man wohl im Zusammenhang mit dem "Fall Joseph" von einer solchen sprechen. Die Bild hatte die Geschichte einer verzweifelten Mutter übernommen, die aus dem Badeunfall ihres kleinen Sohnes die heimtückische Straftat von Neonazis machte. Wenngleich dieser Fall, zumindest in der originären Berichterstattung nicht in den definierten Untersuchungsgegenstand gehört, (weil die Urheberin des Fakes keine Journalistin ist), werden am Beispiel Sebnitz alle Qualitäten deutlich, die fiktionaler Journalismus, hier die Spielart Faction, haben muss. Die Story muss nicht unbedingt wahr sein, sondern in einer Welt x nur vorstellbar. "Wir brauchen kontinuierliche Berichterstattung, wir brauchen Hintergrund. Dann gab es, das muss man auch positiv sehen, bei der Bild-Zeitung die Tendenz, sich ganz kritisch und intensiv mit dem Thema auseinander zu setzen. Das war ja auch nicht immer so. Und dann kommt diese wunderbare Story auf den Tisch. Die ist wie gemalt. Alles passt zusammen: Da ist dieser kleine Junge, die bringen den um, und am Beckenrand stehen 200 Bürger und klatschen Beifall. Das haben wir ja alle vor Augen gesehen. Und das war, um es zynisch zu sagen, viel zu schön, um wahr zu sein." (Weischenberg 2000: 47)
Das Schlimme am Fall Sebnitz ist vor allem die Tatsache, dass die rechtsextremen Kreise in Deutschland dadurch das Thema fiktionaler Journalismus aufs Neue für sich entdeckt haben und in Büchern und Zeitungsartikeln die Presse anprangerten.
Nicht zu vergessen sind schließlich die allzu oft von Fotomontagen illustrierten Gerüchte der Yellowpress über Prominente und vermeintlich Prominente. Es ist durchaus legitim, für eine Untersuchung medialer Fakes die diversen Gerichtsentscheidungen auf Unterlassung, Gegendarstellung oder gar Schmerzensgeld heranzuziehen (siehe auch 5.3). Ein Beispiel aus diesem Feld der medialen Fakes hat dabei wegen der Maßstäbe setzenden Prozesswelle besondere Beachtung erwähnt, nämlich die Berichterstattung über das Liebesleben von Caroline von Monaco (vgl. u.a. Ramonet 1999: 91). Zusammenfassend kann gesagt werden, dass mediale Fakes mit einiger Sicherheit so alt sein dürften wie der Journalismus selbst. Bemerkenswert ist die Anhäufung der enttarnten Fälle in den vergangenen 20 Jahren, die auch eine Zunahme der Fälschungen nahe legt. Die Determinanten für mediale Fakes sollen im kommenden Kapitel daher näher betrachtet werden, genauso ihre kommunikative und gesellschaftliche Wirkung.
Sonntag, 8. Februar 2004, 01:39, von herr denes |