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Sonntag, 15. Februar 2004
Faction: Der Propagandist
herr denes, 12:20Uhr
Jeder kennt die auffälligen Typen, die häufig in Fußgängerzonen, auf Märkten oder vor Kaufhäusern zu finden sind. Sie stehen an einem primitiven Stand, packen einen Haufen Konsumgüter in eine Plastiktüte und rufen immer wieder den gleichen Preis aus. "Wenn Sie jetzt denken, das ist ja schon ein tolles Angebot, dann werden Sie gleich staunen. Ich gebe Ihnen noch den extra-saugfähigen Spülschwamm, die flexible Bürste und das Allzweck-Haushaltstuch dazu. Kommt alles in den Sack - für nur 12 €!" Die eigentliche Faszination solcher Verkaufspräsentationen machen die dauergewellten, alten Damen aus, die mit gewohnt skeptischem Blick und kopfschüttelnd das merkantile Treiben der Marktschreier verfolgen, um die Wundertüten dann am Ende tatsächlich zu kaufen.
Mickey ist ebenfalls so ein Propagandist - nur handelt der adrette, blondgefärbte junge Mann nicht mit Haushaltsutensilien, sondern mit einer viel abstrakteren Ware. Die Idee hatte der Absolvent des modischen Studiengangs "Kommunikationsdesign" auf einem Bummel über den Hamburger Fischmarkt, auf dem seit Jahrzehnten Fischer und Händler aus dem gesamten Nordseegebiet allmorgendlich ihre Aale, Schollen und Krabben feilbieten.
Damals suchte Mickey einen Kompagnon für eine eigene Werbeagentur, doch keiner seiner Bekannten traute sich die schwierige Kundenakquisition zu. Er selbst hatte nicht genug Geld für eine eigene Firma, wollte gleichzeitig aber auch nicht von den (ökonomischen) Launen eines Arbeitgebers abhängig sein. Mickey war davon überzeugt, es auch ohne Startkapital schaffen zu können - er müßte nur sein Talent beweisen, eine Information schnell und effektvoll zu verbreiten. Heute, nicht einmal drei Jahre später, hat Mickey das Start-up-Unternehmen für ein neues Ressort in der Werbebranche - und bereits über sechzig Angestellte. FAKTENFIKTION schilderte er, wie es dazu kommen konnte.
FAKTENFIKTION: Sie gelten als Erfinder des "faming". Was bedeutet dieser Ausdruck?
Mickey: Das heißt, ein Gerücht oder eine Neuigkeit in alle Weltgegenden zu verbreiten.
FAKTENFIKTION: Aber das ist doch nichts Neues...
Mickey: Nein, neu ist es natürlich nicht, nur für die Werbebranche war es ein längst fälliger Impuls. Ein neuer Typ von Kampagnen, sozusagen.
FAKTENFIKTION: Damit man sich Ihre Arbeit besser vorstellen kann: Wie sieht Ihre bisher letzte "faming"-Kampagne aus?
Mickey: Die aktuelle Propaganda läuft für ein bekanntes Produkt der Körperhygiene. Darf ich den Namen nennen...?
FAKTENFIKTION: Klar!
Mickey: Also, für "Rocket"-Tampons, die aus Amerika kommen. Die haben so eine Art Startrampe zum Einführen, das ist viel hygienischer.
FAKTENFIKTION: Und dieses Gerücht verbreiten Sie derzeit?
Mickey: Genau, wobei ich ja auch schon viele Mitarbeiter und OLs - Opinion Leader - habe. Meine OL-Kartei umfaßt mittlerweile über 650 Namen.
FAKTENFIKTION: Sie wenden sich also an Meinungsführer, die die Kunde dann weiterverbreiten. Genügt das wirklich schon, um ein Produkt bekannt zu machen?
Mickey: Das läuft ja viel differenzierter. Wenn eine Firma zu uns kommt, fragen wir zunächst nach der Zielgruppe, nach den spezifischen Eigenheiten des Produktes, das bekanntgemacht werden soll, und wann es auf den Markt kommt. Dann lassen wir uns Proben und Prototypen geben, die wir selbst erst einmal durchtesten. All das findet mehrere Monate statt, bevor der Artikel überhaupt auf den Markt kommt.
FAKTENFIKTION: Und dann wird ein Gerücht gestrickt?
Mickey: Genau, das ist das Wichtigste überhaupt. Sonst arbeiten wir ja auch nicht anders als andere Werbeagenturen - die Gerüchte machen die besondere Eigenheit unserer Vorgehensweise aus. Zumal wir in 80 Prozent der Fälle zusätzlich zu einer anderen Werbeagentur beauftragt werden, die sich um konventionelle Aktionen wie TV-Spots und Plakatwerbung kümmert.
FAKTENFIKTION: Welches Gerücht haben Sie denn beispielsweise über die "Rocket"-Tampons verbreitet?
Mickey: Oh, da gab es einige. In Großstadtbezirken verteilten wir an unsere Opinion Leader ganz spezielle Probepackungen, die Tampons mit Parfümierung und in knalligen Farben enthielten; außerdem lösten sich die Artikel nach Gebrauch einfach im Toilettenwasser auf. Ja ja, die Großstädter muß man schon beeindrucken.
FAKTENFIKTION: Das heißt, Sie haben ein höherwertiges Produkt vorgemogelt?
Mickey: Vorgemogelt würde ich das nicht nennen. Wir haben die Leute auf ein insgesamt gutes neues Produkt gestoßen, daß sie sonst links liegenlassen würden. Man muß heutzutage schon übertreiben, um die Aufmerksamkeit des durchschnittlichen Westeuropäers zu wecken - schauen Sie sich doch nur einmal das Fernsehprogramm an.
FAKTENFIKTION: Wir wollen doch nicht zu sehr vom Thema abweichen. Wie haben Sie denn auf dem Lande für die Wunderdinger geworben?
Mickey: Bei den widerspenstigen Pfälzer Bäuerinnen haben wir Mittelsfrauen eingeschleust, die die Damen durch Anspielungen auf ihr Hinterwäldlertum gezielt provozierten. Weiterhin haben wir ein paar kleine Provinzblättchen bestochen, Artikel über die bevorstehende Lösung aller Menstruationsprobleme zu publizieren.
FAKTENFIKTION: Jetzt wird uns schön langsam klar, was Sie mit Propaganda meinen. Welches war denn Ihr erstes Gerücht?
Mickey: Das war mein Plan, bekannt zu werden. Ich lief über den Hamburger Fischmarkt und sah die Schreier. Na, und vorher hatte ich diesen Oldie im Radio gehört, "I Started A Joke" von Burt Bacharach. So reimte...
FAKTENFIKTION: Bee Gees!
Mickey: Bitte?
FAKTENFIKTION: Der Song ist von den Bee Gees, aber egal. Erzählen Sie bitte weiter.
Mickey: Na, ich dachte mir, ich müßte nur den Umstand nutzen, daß ich sehr viele unterschiedliche Leute kenne - und ich wollte versuchen, über dieses Netz irgendeine Information zu verbreiten.
FAKTENFIKTION: Dann war Ihr erstes Gerücht also ein Witz?
Mickey: Das ist richtig!
FAKTENFIKTION: Meinen Sie, ich kenne ihn auch? Ist der Witz von Ihnen?
Mickey: Fast jeder sozial integrierte Mensch müßte ihn vor gut drei Jahren gehört haben. Hier, ich habe ihn aufgeschrieben! (Er zeigt ein laminiertes und bedrucktes Blatt.)
FAKTENFIKTION: Unglaublich! Und der soll von Ihnen sein!?
Mickey: Sonst würde ich heute keine halbe Million im Monat verdienen.
FAKTENFIKTION: Brutto?
Mickey: Netto!
FAKTENFIKTION: Sagen Sie, wollen Sie nicht auch für uns Propaganda machen?
Mickey: Aber klar, wenn Sie sich das leisten können. Mir fällt da auch schon was ein. (Er beugt sich vor und flüstert dem Interviewer etwas ins Ohr.)
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Faction: Bands, die es nicht gibt: BaRock
herr denes, 12:16Uhr
Bei einem Bummel durch die Innenstadt von Göteborg hat man das Gefühl, daß es hier mehr Musikalienhändler als Schuhgeschäfte gibt. Von der Geige bis zum Drumset bieten die schmucken Instrumentengeschäfte der zweitgrößten Stadt Schwedens alles, was Musiker unterschiedlicher Stile brauchen, um ihre Werke zu zelebrieren. Der Besitzer eines solchen Ladens im Stadtteil Örgryte, Magnus Sjögren, führt sein Geschäft schon in dritter Generation und verkauft selbst seit über 25 Jahren "Rock-Utensilien".
Magnus berät gerade vier junge Männer, die sich für Gitarren und Bässe interessieren. Obwohl die Kunden, die er bedient, kaum über zwanzig Jahre alt sind, zeigt er Ihnen die teuren Instrumente von Gibson, MusicMan und Paul Reed Smith. Der Musikalienhändler weiß: "Geld ist bei uns sekundär. Die staatliche Förderung macht Träume wahr. Jede junge Band kriegt Geld und Übungsräume zur Verfügung gestellt. Die Jungs hier haben ja noch mehr, sie haben den 'PopEx'-Contest gewonnen. Popmusik und Kultur ganz allgemein werden in Schweden als Exportgröße angesehen."
Die vier jungen Käufer, die nach einer guten Stunde mit zwei "Paulas" und einem "Stingray"-Baß aus dem vollgestopften Laden marschieren, heißen, wenn sie zusammen Musik machen, BaRock. In der Coffee-Bar, gleich neben Magnus´ Laden, stellt Bandleader und Sänger Lasse die Band vor: "Mikael ist der mit den Locken, er spielt Sologitarre und singt die Backings. Er und ich haben die Band nach einer Klassenreise nach Paris und Versailles gegründet. Unser Rhythmusgitarrist heißt Klaas und ist mit 24 der älteste; er ist seit zwei Jahren in der Band und hat mit mir zusammen alle Songs für unser Album geschrieben. Er hat auch Locken (lacht). Daneben sitzt Pär, unser Drum-Tier, natürlich auch lockig. Er hat früher bei unseren schärfsten Konkurrenten getrommelt, Rockoko Revival."
Lasse selbst hat keine Locken, ist kahlgeschoren und besitzt definitiv die längsten Wimpern des Rockgeschäfts. Wie der Bandname schon vermuten läßt, hat die Stilepoche des Pomps und der prallen Engelchen es den Schweden angetan. Optisch wie musikalisch haben sie den "Style" des 17. Jahrhunderts adaptiert. Das groß geschriebene "R" zeigt jedoch, daß das Quartett sich auch und vor allem als Rockband versteht. "So hat es ja angefangen, in der Garage, mit schmutzigem Sound und scheppernden Drums. Die Stooges, die Ramones und aktuelle Bands wie die Hellacopters haben uns inspiriert", erinnert sich Lasse an die Anfangstage. Geschichte hatten die Musiker damals noch nicht im Kopf, erst die erwähnte Klassenfahrt nach Frankreich brachte Lasse und Mikael auf den Barock-Trip.
Der Sologitarrist schwärmt bis heute von Versailles: "Den Sex & Drugs-Lifestyle haben die Typen damals auch gelebt. Wenn es Jimi Hendrix und die Stones damals schon gegeben hätte, wären sie wahrscheinlich die Hofmusiker von Ludwig XIV. gewesen. Mir gefällt der Überfluß, der Kitsch, die Möglichkeit, zu zeigen, wie gut es einem geht!" Der Hang zu Dekadenz und Glamour hat sich denn auch stark in der Musik von BaRock niedergeschlagen: Ellenlange Soli und fast wiehernder Gesang charakterisieren die Songs ihres Debüts, das auf die gleiche Weise poppig wirkt wie einst T-Rex oder die Stones (die diese Kunst heute noch ganz gut beherrschen).
Musikexperten und Plattenfirma hat die Göteborger Band allerdings mehr mit ihren Live-Shows beeindruckt. Mit denen erspielte sich BaRock auch eine treue Anhängerschaft, die vor allem durch Perücken mit weißen Locken auffallen, wie man sie von traditionellen britischen Gerichtsverhandlungen kennt. Die Band tritt in festlich geschmückten Clubs und Theatern auf, als Getränke werden nur Wein und Wasser serviert, und parallel zum Bühnengeschehen schafft ein Maler Gemälde aus Öl und Acryl. "Das ist nicht nur Show", stellt sich Lasse präventiv allen Boygroup-Vermutungen entgegen. "Wir wollen andere Leute für eine Epoche begeistern - das ist eine Kulturmission, die wir erfüllen."
Diese Aussage scheint zwar etwas übertrieben, aber in ihrer Heimat sind die Burschen allemal erfolgreich. Die bisherigen Single-Auskopplungen (siehe Review) schafften mühelos die Top Ten, und auch im deutschsprachigen Raum ist BaRock einiges zuzutrauen. Ihr Album wird in wenigen Wochen bei uns erscheinen; live wird man die Band allerdings erst im nächsten Jahr in Augenschein nehmen können.
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Trauriger Sport-Samstag
herr denes, 12:14Uhr
Marco Pantani ist tot! Der "Elefantino" von der Adria, der Kahlkopf, den sein Haupt stets mit einem Bandana schmückte. Er hat sich wohl den Freitod gesucht. Ist nicht mehr zurecht gekommen mit dem Druck, dem Gewissen, der Öffentlichkeit, sich selbst. Er war ein großer Kämpfer, wie man noch beim letzten Giro d'Italia erleben konnte.
Der AC Perugia hat schon wieder verloren. 0:2 lautet das Ergebnis im Heimspiel gegen Chievo Verona. Barzagli (64.) und Cossato (90.) sorgten in einem schwachen Spiel für die Entscheidung. Der Abstieg ist für die Grifoni nun sehr nahe.
Der AC Perugia hat schon wieder verloren. 0:2 lautet das Ergebnis im Heimspiel gegen Chievo Verona. Barzagli (64.) und Cossato (90.) sorgten in einem schwachen Spiel für die Entscheidung. Der Abstieg ist für die Grifoni nun sehr nahe.
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