Jobs
herr denes, 01:47Uhr
Ich bin Volontär an der ems - ELECTRONIC MEDIA SCHOOL/SCHULE FÜR ELEKTRONISCHE MEDIEN in Potsdam-Babelsberg. Das Volontariat dauert noch bis zum Frühjahr 2005.
So schaue ich meistens, wenn ich in der Journalistenschule bin. Man nennt es: An seine Grenzen stoßen....
Acht [lange] Jahre war ich davor als Nachtzugbegleiter aktiv. Liegewagen, Schlafwagen, Reiseleiter, Zugschaffner.
Das war prägend. Und hat auch manchmal Spaß gemacht.
Über das Zugfahren habe ich einmal ein Essay geschrieben:
Trainwalk [partiell fiktional - wie so vieles im Leben]
Rot und weiß angestrichen, 26,4 Meter lang, 1967 gebaut, 1998 modernisiert,. 33 Betten oder alternativ 33 Sitze, ein Gang aus Holzfurnitur mit 14 Türen. Mein Arbeitsplatz ist seit sechs Jahren eine fahrende Hoteleinrichtung wie es die Gewerkschaft ausdrückt. Schlafwagenschaffner ist einer dieser Jobs, mit denen man als Student angeben kann, weil er für die meisten Gesprächspartner die Symbiose aus Herumkommen, Menschen kennenlernen und frei sein verkörpert. Mit Freiheit fangen meine Fahrten nie an, es ist mehr die Vorbereitung eines Schauspielers auf eine Theateraufführung, die ich im Betriebsbahnhof erledige. Nur mit sehr viel mehr Schweiß verbunden, als wolle jeder Tropfen meine intellektuelle Auslegung dieser Tätigkeit trüben. Ich habe Gurte arretiert, Betten kontrolliert, Wäsche gezählt, Kaffee ge-kocht und Sanitäranlagen instandgesetzt, als sich das Rangierobjekt (ein Zug, der noch keine Gäste hat) in Richtung Abfahrtsbahnhof in Bewegung setzt. Erst kurz vorher zog ich mein Ehrenkleid samt Fliege an, bereitete meine so wichtig aussehende Schreibmappe vor, die Formulare erhält, über die ich bei jedem Bezirksämtler lachen würde, machte mich fertig für den ersten Kontakt mit meinen Kunden.
Hinfahrt - der Abend
Ein paar Stunden später sind die Leiden publikumsloser Schufterei vergessen. Jedes Bücken, jeder Gang durch den Wagen und natürlich jedes herausgeklappte Bett dürfen ihre Wirkung nicht verfehlen : Respekt, Mitleid und Unverständnis. Für die extreme Verbindung unterschiedlichster Tätigkeiten. „Der Schlafwagenschaffner - ein Mann mit 73 Berufen“, prangte es in einem der Wagen von einem Zettel, der im Dienstabteil hing. „Kellner, Hotelier, Seelsorger, Drogist, Koch“, eine Auswahl dieses trefflichen Pamphlets, daß mit seinem knallorange-sofabraunem Outfit eindeutig den Siebzigern entsprungen sein mußte. Es stammte also aus der Zeit, in der man als Schaffner „noch wer war, Geld hatte“, wie mein Kollege Peter immer zu erzählen weiß. „Damals, vor zwanzig Jahren, standen die Leute noch mit Hundertmarkscheinen am Bahnhof Zoo und bettelten darum, mitgenommen zu werden.“ Besser, daß ich diese Zeiten in Deutschlands Nachtzügen nie miterleben durfte, sonst würde ich kaum eine dieser würdeloser Situationen, wie sie sich auch auf dieser Fahrt nach Mittelitalien abspielen, ohne eine Gastbeschwerde überstehen. Es sind diese vierzig bis hundert Sekunden, in denen die Gäste vor ihrem Abteil stehen, einen dabei beobachten, wie man ihre Betten aus der Wand holt und arretiert und sich genötigt fühlen, mit einem zu sprechen. Die Nötigung geht meist vom Schaffner selber aus, weil es die größte Chance ist, ein persönliches Verhältnis zum Gast aufzubauen und damit den Wiedererkennungswert, die Sicherung von Zufriedenheit und Spendabilität, zu erhöhen. So gut diese Überbrückungsgespräche über das Urlaubsziel, den Retriever oder die Blasenschwäche des nun auch schon wieder strullenden Ehegatten auch laufen können, entstehen beim Scheitern des Small-Talks unendlich lang erscheinende Sekunden des Schweigens auf der Schneide zwischen meiner Trinkgelderwartung und dem Geiz der Spielverderber. Die hohe Kunst, den Gast von der eigenen intellektuellen Überqualifikation für diese Arbeit zu überzeugen, wird bei Vollendung oft genug entlohnt, deswegen muß ich das Risiko schweigender Penetration immer in Kauf nehmen. Wieder und wieder, zwischen schnellen Bieren und verdrießlichen Snacks, elf Abteile - 25 Gäste lang. Es ist nicht allein Profitgier, die den Schaffner zum Entertainer macht, es ist auch der Wunsch, aus der Routine auszubrechen. Man ist am Arbeitsplatz gefangen, macht auf jeder Fahrt das Gleiche und weiß, daß man einen an sich guten Job erwischt hat. Das kann einen verrückt machen, wenn man sich nicht ein Spielchen sucht. Und abends auf der Hinfahrt ist mein Spiel das Tip-Samen-Sähen. Nach zwei Stunden legt sich der Trubel, alle Betten sind umgeklappt, die Papiere schnell geschrieben. Die erste Zigarette schmeckt wie nach einer opulenten Mahlzeit, ein Schluck aus der Flasche mit dem inzwischen schalen Begrüßungssekt spendet neuen Arbeitsmut. Und meistens kommt gerade in diesem Augenblick einer dieser netten Mittsechziger Ehemänner. „Haben Sie ´nen Klaren ? Ich zahl´den gleich, brauchen Sie nicht auf die Rechnung zu schreiben ! Danke, sagen Sie, fahren Sie bis nach Italien mit ? Ach, und gleich wieder zurück ? Aber Sie haben ja Pause, naja, vier Stunden immerhin. Mein Neffe hat neben dem Studium als Nachtportier gearbeit, der hatte eigentlich den gleichen Job wie Sie, haha. Haben Sie noch einen ? Danke, zahl´ ich wieder sofort, schön kalt das Zeug. Wir fahren schon seit sechzehn Jahren mit diesem Zug, aber Sie sind wirklich der netteste Schaffner. Wissen Sie, meine Frau, die meckert, wenn ich im Urlaub trinke, aber ich fahr ja jetzt noch nicht mit dem Auto. Ihre Freundin ist auch nicht sehr begeistert über die Fahrerei, was? Naja, die Weiber, man kennt sie ja. Was trinken Sie ? Ach so, nicht im Dienst, aber Sie können doch auch ´n bißchen schlafen, kommen Sie, ich geb´ Ihnen einen aus. So, genau, zwei Klare und der Rest ist für Sie !“ Wenn diese Viertelstunde dann überstanden ist, hat man meist schon wieder das Geld eingenommen, das man auf der Fahrt ausgibt. Schaffner - Beruf Nr.62: Barkeeper. Allerdings mit der Besonderheit, daß man den Gast (zusammen mit seiner Frau) am nächsten Morgen wieder sieht. Meine Diskretion lassen sich diese meine Lieblingsgäste oft einiges kosten, als Gegenleistung gebe ich meinem Kunden das Gefühl, er sei der Einzige, mit dem ich solch ein „Privatgespräch“ überhaupt führen würde. Jetzt kann ich zufrieden die Frühstücke für den nächsten Morgen vorbereiten, mit den Kollegen quatschen, etwas Musik hören und mich für ein paar Stunden auf die Pritsche legen. Die Pritsche, so nennen Schaffner, die sich gerne der Fernfahrerterminologie bedienen, jenes etwa Eins-Vierzig lange Verlängerungsstück zum Schaffnersitz am Ende des Ganges, das zu einer Liege ausgeklappt werden kann, deren größter Fehler die Positionierung vor einer der beiden Waggontoiletten ist. Ich habe ´mal ein Essay über die unterschiedlichen Nebengeräusche des Wasserlassens bei Mann und Frau verfasst, dieses dann aber verloren. Es war sehr treffend formuliert und trug eine gewichtige soziokulturelle Komponente.
Hinfahrt - der Morgen
Es spielt überhaupt keine Rolle, wann ein Schlaf- und Liegewagenzug sein Ziel erreicht, mindestens zwei Abteile sind immer schon um fünf Uhr wach. Sie rütteln am schnarchenden Schaffner, der nach Stunden endlich eine erträgliche Stellung auf der Pritsche gefunden hat, um für eine Stunde einzunicken. „Haha, Sie sind ja eingeschlafen !“, wie vom Triumph eines Lehrers, der einen Abschreiber erwischt hat, ermuntert, kommt der Vorschlag zur Wiedergutmachung prompt : „Können wir schon Kaffee haben ?“ Am Morgen hat der Job wenig von Schauspielerei, höchstens man versetzt sich in die Rolle einer gestreßten Bedienung in einem überfüllten Straßencafé an der Piazza Navona. Jeder Gast kriegt ein Frühstück samt durchaus erträglichem Kaffee, Tee oder Kakao. Frische Brötchen nahm der Zug Nachts auf den Weg an die Rivieraküste mit. Jetzt bleibt nicht viel Zeit zur Gipfelschau in den vorbeirasenden Südalpen, denn auch wenn wir unser Ziel erst am Mittag erreichen, werden alle Gäste zwischen Acht und Neun Uhr ihre Sitze wiederhaben und ihr Frühstück vorgesetzt bekommen wollen. Wenn die Körbchen Teller und Tassen fertig sind, kann die nervliche Leistungsshow beginnen. „Hallo !“, tönt es aus der 32. „Haben Sie noch ein bißchen Kaffee ?“ Die gierigen Blicke des älteren Ehepaars aus dem Nebenabteil verheißen ebenfalls nicht Gutes. „Denken Sie noch an uns ?“ Was, die hatten doch schon ihre ersten Tassen ? Meine Argumentation muß sitzen. „Wissen Sie, das ist wie zu Kriegszeiten, erst kriegt jeder einmal und dann gibt´s den Nachschlag.“ „Ja“, antwortet der tatsächlich kriegserprobte Gast eingeschüchtert, „ich wollte ja nur noch einmal nachfragen !“ Typisch, erst brauchen sie ´ne halbe Stunde, um wach zu werdenund dann können sie sich keine fünf Minuten gedulden. Und dann dieser freche Bengel, von 15 Stunden Fahrzeit Drei Stunden auf dem Gang toben, brüllen, stören- scheiß antiautoritäre Erziehung. „Läßt Du mich ´mal vorbei ?“ „Kevin, mein Schatz, läßt Du den Onkel mal vorbei ?“ Vielen Dank, inzwischen bin ich längst in der 51, um die Betten einzuklappen. Fließt der Schweiß, gilt es, die optische Gunst der Stunde zu nutzen. „Haben Sie gut geschlafen ?“; vorgetäuschte Anteilnahme als trinkgeldfördernde Maßnahme, die Antwort als unvermeidliche Konsequenz. „Ach, an und für sich ist es schon sehr ungewohnt, also im ICC schläft man besser !“ „Was Sie nicht sagen - ich wußte gar nicht, daß der ICE nachts fährt ?“ „Doch, der ICC fährt nachts.“ Eine Tür weiter die nächste Grausamkeit: „So, jetzt dürfen Sie auch bei uns die Betten machen und das Frühstück bringen. Sind wir eigentlich pünktliche ?“ „Nein, wir haben drei Minuten Verspätung !“ „Oh, aber das ist doch nicht so dramatisch ?“
So schaue ich meistens, wenn ich in der Journalistenschule bin. Man nennt es: An seine Grenzen stoßen....
Acht [lange] Jahre war ich davor als Nachtzugbegleiter aktiv. Liegewagen, Schlafwagen, Reiseleiter, Zugschaffner.
Das war prägend. Und hat auch manchmal Spaß gemacht.
Über das Zugfahren habe ich einmal ein Essay geschrieben:
Trainwalk [partiell fiktional - wie so vieles im Leben]
Rot und weiß angestrichen, 26,4 Meter lang, 1967 gebaut, 1998 modernisiert,. 33 Betten oder alternativ 33 Sitze, ein Gang aus Holzfurnitur mit 14 Türen. Mein Arbeitsplatz ist seit sechs Jahren eine fahrende Hoteleinrichtung wie es die Gewerkschaft ausdrückt. Schlafwagenschaffner ist einer dieser Jobs, mit denen man als Student angeben kann, weil er für die meisten Gesprächspartner die Symbiose aus Herumkommen, Menschen kennenlernen und frei sein verkörpert. Mit Freiheit fangen meine Fahrten nie an, es ist mehr die Vorbereitung eines Schauspielers auf eine Theateraufführung, die ich im Betriebsbahnhof erledige. Nur mit sehr viel mehr Schweiß verbunden, als wolle jeder Tropfen meine intellektuelle Auslegung dieser Tätigkeit trüben. Ich habe Gurte arretiert, Betten kontrolliert, Wäsche gezählt, Kaffee ge-kocht und Sanitäranlagen instandgesetzt, als sich das Rangierobjekt (ein Zug, der noch keine Gäste hat) in Richtung Abfahrtsbahnhof in Bewegung setzt. Erst kurz vorher zog ich mein Ehrenkleid samt Fliege an, bereitete meine so wichtig aussehende Schreibmappe vor, die Formulare erhält, über die ich bei jedem Bezirksämtler lachen würde, machte mich fertig für den ersten Kontakt mit meinen Kunden.
Hinfahrt - der Abend
Ein paar Stunden später sind die Leiden publikumsloser Schufterei vergessen. Jedes Bücken, jeder Gang durch den Wagen und natürlich jedes herausgeklappte Bett dürfen ihre Wirkung nicht verfehlen : Respekt, Mitleid und Unverständnis. Für die extreme Verbindung unterschiedlichster Tätigkeiten. „Der Schlafwagenschaffner - ein Mann mit 73 Berufen“, prangte es in einem der Wagen von einem Zettel, der im Dienstabteil hing. „Kellner, Hotelier, Seelsorger, Drogist, Koch“, eine Auswahl dieses trefflichen Pamphlets, daß mit seinem knallorange-sofabraunem Outfit eindeutig den Siebzigern entsprungen sein mußte. Es stammte also aus der Zeit, in der man als Schaffner „noch wer war, Geld hatte“, wie mein Kollege Peter immer zu erzählen weiß. „Damals, vor zwanzig Jahren, standen die Leute noch mit Hundertmarkscheinen am Bahnhof Zoo und bettelten darum, mitgenommen zu werden.“ Besser, daß ich diese Zeiten in Deutschlands Nachtzügen nie miterleben durfte, sonst würde ich kaum eine dieser würdeloser Situationen, wie sie sich auch auf dieser Fahrt nach Mittelitalien abspielen, ohne eine Gastbeschwerde überstehen. Es sind diese vierzig bis hundert Sekunden, in denen die Gäste vor ihrem Abteil stehen, einen dabei beobachten, wie man ihre Betten aus der Wand holt und arretiert und sich genötigt fühlen, mit einem zu sprechen. Die Nötigung geht meist vom Schaffner selber aus, weil es die größte Chance ist, ein persönliches Verhältnis zum Gast aufzubauen und damit den Wiedererkennungswert, die Sicherung von Zufriedenheit und Spendabilität, zu erhöhen. So gut diese Überbrückungsgespräche über das Urlaubsziel, den Retriever oder die Blasenschwäche des nun auch schon wieder strullenden Ehegatten auch laufen können, entstehen beim Scheitern des Small-Talks unendlich lang erscheinende Sekunden des Schweigens auf der Schneide zwischen meiner Trinkgelderwartung und dem Geiz der Spielverderber. Die hohe Kunst, den Gast von der eigenen intellektuellen Überqualifikation für diese Arbeit zu überzeugen, wird bei Vollendung oft genug entlohnt, deswegen muß ich das Risiko schweigender Penetration immer in Kauf nehmen. Wieder und wieder, zwischen schnellen Bieren und verdrießlichen Snacks, elf Abteile - 25 Gäste lang. Es ist nicht allein Profitgier, die den Schaffner zum Entertainer macht, es ist auch der Wunsch, aus der Routine auszubrechen. Man ist am Arbeitsplatz gefangen, macht auf jeder Fahrt das Gleiche und weiß, daß man einen an sich guten Job erwischt hat. Das kann einen verrückt machen, wenn man sich nicht ein Spielchen sucht. Und abends auf der Hinfahrt ist mein Spiel das Tip-Samen-Sähen. Nach zwei Stunden legt sich der Trubel, alle Betten sind umgeklappt, die Papiere schnell geschrieben. Die erste Zigarette schmeckt wie nach einer opulenten Mahlzeit, ein Schluck aus der Flasche mit dem inzwischen schalen Begrüßungssekt spendet neuen Arbeitsmut. Und meistens kommt gerade in diesem Augenblick einer dieser netten Mittsechziger Ehemänner. „Haben Sie ´nen Klaren ? Ich zahl´den gleich, brauchen Sie nicht auf die Rechnung zu schreiben ! Danke, sagen Sie, fahren Sie bis nach Italien mit ? Ach, und gleich wieder zurück ? Aber Sie haben ja Pause, naja, vier Stunden immerhin. Mein Neffe hat neben dem Studium als Nachtportier gearbeit, der hatte eigentlich den gleichen Job wie Sie, haha. Haben Sie noch einen ? Danke, zahl´ ich wieder sofort, schön kalt das Zeug. Wir fahren schon seit sechzehn Jahren mit diesem Zug, aber Sie sind wirklich der netteste Schaffner. Wissen Sie, meine Frau, die meckert, wenn ich im Urlaub trinke, aber ich fahr ja jetzt noch nicht mit dem Auto. Ihre Freundin ist auch nicht sehr begeistert über die Fahrerei, was? Naja, die Weiber, man kennt sie ja. Was trinken Sie ? Ach so, nicht im Dienst, aber Sie können doch auch ´n bißchen schlafen, kommen Sie, ich geb´ Ihnen einen aus. So, genau, zwei Klare und der Rest ist für Sie !“ Wenn diese Viertelstunde dann überstanden ist, hat man meist schon wieder das Geld eingenommen, das man auf der Fahrt ausgibt. Schaffner - Beruf Nr.62: Barkeeper. Allerdings mit der Besonderheit, daß man den Gast (zusammen mit seiner Frau) am nächsten Morgen wieder sieht. Meine Diskretion lassen sich diese meine Lieblingsgäste oft einiges kosten, als Gegenleistung gebe ich meinem Kunden das Gefühl, er sei der Einzige, mit dem ich solch ein „Privatgespräch“ überhaupt führen würde. Jetzt kann ich zufrieden die Frühstücke für den nächsten Morgen vorbereiten, mit den Kollegen quatschen, etwas Musik hören und mich für ein paar Stunden auf die Pritsche legen. Die Pritsche, so nennen Schaffner, die sich gerne der Fernfahrerterminologie bedienen, jenes etwa Eins-Vierzig lange Verlängerungsstück zum Schaffnersitz am Ende des Ganges, das zu einer Liege ausgeklappt werden kann, deren größter Fehler die Positionierung vor einer der beiden Waggontoiletten ist. Ich habe ´mal ein Essay über die unterschiedlichen Nebengeräusche des Wasserlassens bei Mann und Frau verfasst, dieses dann aber verloren. Es war sehr treffend formuliert und trug eine gewichtige soziokulturelle Komponente.
Hinfahrt - der Morgen
Es spielt überhaupt keine Rolle, wann ein Schlaf- und Liegewagenzug sein Ziel erreicht, mindestens zwei Abteile sind immer schon um fünf Uhr wach. Sie rütteln am schnarchenden Schaffner, der nach Stunden endlich eine erträgliche Stellung auf der Pritsche gefunden hat, um für eine Stunde einzunicken. „Haha, Sie sind ja eingeschlafen !“, wie vom Triumph eines Lehrers, der einen Abschreiber erwischt hat, ermuntert, kommt der Vorschlag zur Wiedergutmachung prompt : „Können wir schon Kaffee haben ?“ Am Morgen hat der Job wenig von Schauspielerei, höchstens man versetzt sich in die Rolle einer gestreßten Bedienung in einem überfüllten Straßencafé an der Piazza Navona. Jeder Gast kriegt ein Frühstück samt durchaus erträglichem Kaffee, Tee oder Kakao. Frische Brötchen nahm der Zug Nachts auf den Weg an die Rivieraküste mit. Jetzt bleibt nicht viel Zeit zur Gipfelschau in den vorbeirasenden Südalpen, denn auch wenn wir unser Ziel erst am Mittag erreichen, werden alle Gäste zwischen Acht und Neun Uhr ihre Sitze wiederhaben und ihr Frühstück vorgesetzt bekommen wollen. Wenn die Körbchen Teller und Tassen fertig sind, kann die nervliche Leistungsshow beginnen. „Hallo !“, tönt es aus der 32. „Haben Sie noch ein bißchen Kaffee ?“ Die gierigen Blicke des älteren Ehepaars aus dem Nebenabteil verheißen ebenfalls nicht Gutes. „Denken Sie noch an uns ?“ Was, die hatten doch schon ihre ersten Tassen ? Meine Argumentation muß sitzen. „Wissen Sie, das ist wie zu Kriegszeiten, erst kriegt jeder einmal und dann gibt´s den Nachschlag.“ „Ja“, antwortet der tatsächlich kriegserprobte Gast eingeschüchtert, „ich wollte ja nur noch einmal nachfragen !“ Typisch, erst brauchen sie ´ne halbe Stunde, um wach zu werdenund dann können sie sich keine fünf Minuten gedulden. Und dann dieser freche Bengel, von 15 Stunden Fahrzeit Drei Stunden auf dem Gang toben, brüllen, stören- scheiß antiautoritäre Erziehung. „Läßt Du mich ´mal vorbei ?“ „Kevin, mein Schatz, läßt Du den Onkel mal vorbei ?“ Vielen Dank, inzwischen bin ich längst in der 51, um die Betten einzuklappen. Fließt der Schweiß, gilt es, die optische Gunst der Stunde zu nutzen. „Haben Sie gut geschlafen ?“; vorgetäuschte Anteilnahme als trinkgeldfördernde Maßnahme, die Antwort als unvermeidliche Konsequenz. „Ach, an und für sich ist es schon sehr ungewohnt, also im ICC schläft man besser !“ „Was Sie nicht sagen - ich wußte gar nicht, daß der ICE nachts fährt ?“ „Doch, der ICC fährt nachts.“ Eine Tür weiter die nächste Grausamkeit: „So, jetzt dürfen Sie auch bei uns die Betten machen und das Frühstück bringen. Sind wir eigentlich pünktliche ?“ „Nein, wir haben drei Minuten Verspätung !“ „Oh, aber das ist doch nicht so dramatisch ?“
Sonntag, 8. Februar 2004, 01:47, von herr denes |