Faction: Gelüftete Gesellschaft
herr denes, 12:28Uhr
Henkelmann dreht sich auf dem langen, von Neonröhren beleuchteten Gang zweimal um, als wolle er sicher sein, daß uns niemand folgt. Er kratzt sich am Nacken, scheint nervös und sagt: "Scheißmagen!" Als wir im Aufzug angelangt sind, der vermutlich selbst bei seiner Inbetriebnahme in den siebziger Jahren nicht allzu modern wirkte, drückt er - von einem tiefen Stoßseufzer begleitet - auf "K". Nicht besonders schnell gleiten wir in die Tiefe des Krankenversicherungsbaus, der vorbeifahrenden Autofahrern durch die sozialistisch wirkende Buchstabenkombination G E S U N D H E I T aus Leuchtstofflettern auf dem Dach auffällt. Im Keller angelangt, sind alle Schweißperlen auf der Stirn des etwas molligen Mittvierzigers verschwunden. "Kommen Sie mit!" sagt Henckelmann, weiterhin ohne eine Spur von Lockerheit.
Woran er arbeitet, hatte Henckelmann nur am Telefon beschrieben; es klang jedenfalls sehr nach einer Verschwörungstheorie. Er arbeitet in der Abteilung "Kundengesundheit" einer großen deutschen Krankenkasse. Bei dem neuen Programm, das vor allem in diesem Stahlbetonbau in Düsseldorfs Innenstadt entwickelt wird, soll es den Rauchern an den Kragen gehen. "Ans Portemonnaie wollen die uns!" erklärt er und grüßt den Reporter mit einer Zigarette im Mundwinkel. Hier unten treffen sich die verbliebenen Raucher des Gebäudes - laut Henckelmann sind es nicht mehr viele. Als er vor über zwanzig Jahren seine erste Stelle in diesem Gebäude hatte, habe er noch im Büro rauchen dürfen. Seit sein Arbeitgeber jedoch das Programm "ProfitGesund" intern vorbereite, würde Jagd auf die Raucher gemacht. Zuerst innerhalb der Peripherie: "Die Putzen, die Pförtner, das Kantinenpersonal - alle Raucher entlassen!"
Henckelmann lacht nach jeder seiner Äußerungen schnell, geradezu hysterisch. Seine Zigarette hat er verkrampft innerhalb von zwei Minuten zur Kippe minimiert. Er tut sich schwer damit, etwas über das Programm seiner Krankenkasse zu erzählen. Es gehe um Beitragssteigerungen auf ein Vielfaches ihrer jetzigen Höhe, um Zwangsausschlüsse für Raucher und ähnliches. "Die wollen sogar, daß Raucher dazu angehalten werden, bestimmte Buttons am Revers zu tragen, hahha." Er stockt in seinem Abschlußlachen, weil der Fahrstuhl sich wieder in Bewegung gesetzt hat. Schnell schiebt er unsere Kippen hinter einen losen Ziegel am Boden des Kellerraums, in dem wir stehen. Der Aufzug hält tatsächlich auf dieser Etage. Ein paar Schritte sind zu hören, sie müssen von einer Frau kommen. Henckelmann atmet auf. "Lina!" sagt er, als erkläre das alles.
Lina steht bei uns und genießt zwei Zigaretten gleichzeitig. "Eine ist ´ne leichte!" entschuldigt sie den merkwürdigen Anblick, den sie bietet. Henckelmann steckt sich auch noch eine an; er weiß schon, daß es die letzte für die nächsten fünf Stunden bleiben wird. Die beiden haben gegenüber von ihrer Raucherecke das Werbeplakat einer französischen Zigarettenmarke angebracht. "Mit Genehmigung des Hausmeisters, der ist Gelegenheitsraucher", sagt Lina. "Wo bleiben Jörg und Carsten?" will Henckelmann wissen. Sie sind die beiden anderen Raucher unter den 250 Mitarbeitern des Versicherungsunternehmens, die im Haus arbeiten. Lina weiß auch keine Antwort. Merkwürdigerweise hat sie ihre "Light" bereits aufgeraucht, während die stärkere Zigarette noch voll am Glühen ist.
Sie arbeitet im Controlling, und eigentlich müßte ihr Herz höher schlagen, wenn sie an "ProfitGesund" denkt. "Ich bin letzten Monat ausgetreten. 'Wegen meines Freundes', habe ich angegeben! Ich bin nicht mehr bei der Versicherung, für die ich arbeite." Henckelmann kann darauf nur mit einem hysterischen Lachen reagieren. Ihm ist alles egal, er will seinen Job behalten. Daß er nach der Einführung des neuen Konzepts etwa ein Drittel seines Monatslohns "abdrücken" müsse, um auch als Raucher noch krankenversichert zu bleiben, stört ihn nicht. "Nur die Akten muß ich behüten. Ich weiß aber, wer meinen Buchstaben bearbeitet. Die dürfen halt nichts an die Personalabteilung weitergeben."
Die versprochenen fünfzehn Minuten sind um; Henckelmann schickt Lina vor, damit sie nicht gemeinsam aus dem Keller kämen. "Das würde auffallen..." sagt sie. "Und auffallen wollen wir hier nun wirklich nicht!" vollenden die beiden den Satz mit dem kommenden Slogan zum Start von "ProfitGesund". Vor der hektischen Verabschiedung gibt Henckelmann der hübschen Lina noch einen Nikotinkaugummi, auf daß sie die zweite Hälfte ihres Arbeitstages gut überstehe.
Donnerstag, 12. Februar 2004, 12:28, von herr denes |
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