Faction: Höfliche Heide
herr denes, 13:48Uhr
Worauf man unerwartet stößt, das vermag von sich aus schön zu wirken. Eine solche ganz eigene Ästhetik haben - nur zum Beispiel - eine Zellstoffabrik in Kaukasien, ein Videoverleih in der Sahara und eine Drehorgelwerkstatt in Kanton.
Aber was halten Sie von einer Höflichkeitsakademie in Hankensbüttel? Diese Institution haben wir nicht etwa wegen der Anapher ausgewählt, sondern sind durch eine Einladung zum Auftakt des neuen Semesters darauf gestoßen. Nach dem Besuch beim Postkasten galt der erste Griff der deutschen Straßenkarte, Maßstab 1:500.000. Hankensbüttel liegt bei Wittingen, und das wiederum bei Uelzen, welches aber wie "Ölzen"auszusprechen ist. Uelzen selbst befindet sich etwa auf halbem Wege zwischen Hamburg und Hannover; Stichwort: Norddeutschland, Lüneburger Heide. Hankensbüttel fällt rein namentlich in dieser Lage gar nicht nicht auf - nur eine Autobahnausfahrt weiter liegt Bienenbüttel, und auch sonst wird in dieser Gegend fleißig gebüttelt. Der Ort taucht sogar in der "Encyclopedia Britannica" auf, wegen seines "Otterzentrums" nämlich. Hört sich idyllisch an, nach "Heidschnucken" genannten Schafen, bärbeißigen Bauern und listigen Honigvertretern. Was spricht also dagegen, das späte Sommerloch mit einer Reportage über Deutschlands erste Höflichkeitsakademie zu füllen?
Die Leiterin der Akademie empfängt mich mit einem sanften, aber bestimmten Händedruck. "Ich heiße Angelika Gerdes und freue mich, daß Sie unser Gast sind. Machen Sie es sich bequem, ich lasse Ihnen etwas zu trinken bringen!" Sehr schön, die 45jährige scheint ihr Geschäft zu verstehen. Höflichkeit sei eine Marktlücke, vielleicht der übernächste große Trend, meint sie. "Alle reden vom Werteverlust; wir tun etwas dagegen!" sagt sie automatisch den Slogan ihres Hauses auf. Hinter ihr hängt ein Plakat eines gut gekleideten Mannes, der dezent lächelt. Darunter steht: "Auch er ist ein Mann von geradezu chinesischer Höflichkeit."
Frau Gerdes hat ein dickes Softcover-Buch zur Hand genommen, dunkelblau mit einer blaßblauen Lilienapplikation auf dem Titel. "Curriculum" steht darauf. Sie erklärt das Veranstaltungsverzeichnis, das im Grunde sehr leicht nachzuvollziehen ist (das gehört hierorts scheinbar zum guten Ton). "Manieren auf dem Bürgersteig" heißt etwa das Seminar Nummer PRA013. "Pragmatik 13, dieses Seminar hat Tradition, es ist eng mit der Gründung dieser Akademie verbunden", sagt Frau Gerdes über die einzige Lehrveranstaltung, die von ihr geleitet wird. In diesem Seminar gehe es um die Fußgänger-Etikette, "vom richtigen Ausweichen über angemessene Armbewegungen bis hin zum Passierenlassen junger Mütter mit Kinderwagen".
In der Pragmatik-Sektion können Menschen mit Höflichkeitsdefiziten noch viele andere Seminare besuchen, die praktische Lebenshilfe bieten sollen. "Aging-Kontakte" heißt eines davon; dort geht es um richtiges, höfliches Benehmen gegenüber "älteren und wesentlich älteren Interaktionspartnern". Ein anderes Seminar widmet sich während der elf Sitzungen der "Höflichkeitshürde verschlossene Tür". Neben Pragmatik gibt es die Sektionen "Mündlich höflich", "Charakterhöflichkeit"und "interkulturelle Höflichkeit".
Ohne Frage haben viele Zeitgenossen eine Erziehung auf diesem Gebiet nötig. Das Problem für die Akademie, deren Seminare kostenpflichtig sind, dürfte darin liegen, daß sich gerade die unhöflichen Menschen selten dieser Schwäche bewußt sind, sonst würden sie sie nicht an den Tag legen. Wer also soll die Schüler heranbringen?
"Ich habe alles, was Sie mich gefragt haben, verstanden und versuche nun zu antworten", entgegnet Angelika Gerdes in der üblichen langsamen Intonation. Höflichkeit werde zu einem Trend, zu einem Ausscheidungskriterium für Akzeptanz, Aufmerksamkeit und den Erfolg bei der Partnersuche. Ein gentleman- bzw. sportsmanlike Verhalten würde die rauhen Sitten bald zu obsoleten Erscheinungen der industriellen Postmoderne machen: "Von der Überholspur zurück nach rechts einordnen, das wird kommen. Dann werden die Leute Durst auf eine kompetente Unterweisung in guten Manieren haben. Eltern werden ihren Sprößlingen das korrekte Verhalten beibringen wollen, nur werden sie selbst nicht mehr wissen, was dieses eigentlich ausmacht."
Die Leiterin der ersten deutschen Höflichkeitsakademie hat eindeutig ihre Hausaufgaben gemacht. Ihr Auftreten rechtfertigt auch die teilweise horrenden Preise der Seminare. Bleibt nur noch die Frage nach der Ästhetik des Unerwarteten. Warum gerade Hankensbüttel? "Einerseits haben wir uns hier niedergelassen, weil man die Kurse mit einem Landurlaub verbinden kann, andererseits läßt sich bei den muffligen Heidebauern gleich der Erfolg der frisch erworbenen Höflichkeit testen."
Der Holundersaft hat gut geschmeckt; zum Nachmittag lade ich Frau Gerdes noch auf eine schöne Tasse Kaffee in der akademieeigenen Cafeteria ein. Der Kellner, ein ehemaliger Schüler, ist so höflich, daß er mir ganz ungefragt die Rechnung in die Hand drückt. Hankensbüttel kann also jetzt problemlos mithalten mit dem Platinenwerk in Alma-Ata, dem Lautsprecherladen in Lesotho und dem Plüschtierladen im Frauenknast. Und das ist doch auch schon was.
Donnerstag, 19. Februar 2004, 13:48, von herr denes |
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