Sonntag, 22. Februar 2004
Faction: Seltsame Stadt, Teil 1 (2002)
herr denes, 23:58Uhr
Auf einer breiten Kreuzung überquert ein Fußgänger eine Straße. Als er etwas über die Hälfte des Weges zurückgelegt hat, schaltet seine Ampel auf rot. Der junge Mann zuckt daraufhin zusammen und verdreifacht seine Schrittfrequenz, um die rettende andere Straßenseite zu erreichen. Als ob sein Rennen überlebenswichtig gewesen wäre, lehnt er sich danach an eine Litfasssäule und wischt seinen Schweiß von der Stirn.
Im U-Bahnhof ertönt der Ruf „Zurückbleiben“ als eine gut gekleidete Frau die letzten Schritte auf den Zug zugeht. Das audiovisuelle Warnsignal begleitet das Schließen der Türen vor ihren Augen. Aus den Fenstern des Zuges kann man erkennen, wie die Frau anfängt zu weinen und sich die Hände vor das Gesicht hält. In den anfahrenden Waggons scheint kein Fahrgast über den Zusammenbruch der zu spät Gekommenen überrascht.
Am Bankautomat steht ein souveräner Herr mit Schnauzbart und steckt seine Karte in das Gerät. Er schaut sich nach links um, als er zur Eingabe der Geheimzahl aufgefordert wird und nach rechts, bevor er auf die grüne Taste drückt. Nachdem er das Geld in den Händen hat, zählt er es mehrmals und schüttelt dabei mit dem Kopf. Seine Zählungen kommen nie zum Abschluss, weil er sich nach sieben vom Daumen und Zeigefinger registrierten Noten wieder umschaut.
Beim Spaziergang im Park unterhalten sich zwei Mädchen, während sie einem Hund Auslauf gewähren. Obwohl sie beide zischend flüstern, ermahnen sie sich im Minutentakt zu leiseren Stimmen. „Sie doch nicht so laut“ oder „Du musst nicht schreien“ sagen sie mit aggressiven Stimmen. Der Hund darf den lockenden Rasen nicht betreten, das wird ihm mit einem unmissverständlichen Zug am Lederhalsband mitgeteilt.
Eine deutsche Großstadt im Dezember, es ist ein Mittwoch Vormittag und Menschen, die zu dieser Zeit nicht arbeiten oder schlafen, verkehren in der Innenstadt. Um neun Uhr morgens am gleichen Tag fuhr eine Kolonne von Betonmischlastwagen durch verschiedene Stadtteile. Aus den LKW strömte ein bläuliches Gas, das auf den befahrenen Straßen erst nach wenigen Minuten durch einen nussähnlichen Geruch auffiel. Zwischen neun und zehn Uhr befuhren alleine drei verschieden nummerierte Laster die Weglerstraße, einer davon tat dies sogar zweimal. Die Betonmischlastwagen waren grün lackiert und trugen die Aufschrift der Firma „Lorenz“. Nach zehn Uhr war keines der Fahrzeuge mehr zu sehen.
Das merkwürdige Verhalten der Menschen war ab etwa 9.45 Uhr zu beobachten. So berichtete die Rentnerin Renate Glücklich einem lokalen Berichterstatter, dass sie sich in der Straßenbahn über einen jungen Mann gewundert hätte, der seine verdreckten Fingernägel zunächst mit der jeweils anderen Hand angerissen und dann „mit den Schneidezähnen weitläufig abgerissen hätte bis es blutete.“ Frau Glücklich selbst rieb während des Interviews eine entzündete Wunde auf ihrem Kinn mit dem gebogenen Daumen ihrer rechten Hand, ohne zu bemerken, dass dieser bereits blutüberstömt war.
An der Imbissbude „Wilhelms Würste“ steht ein Pullunderträger mit Hornbrille und schminkt seine Wangen geduldig mit Currysauce. Die zunehmend nackter werdende Wurst auf seinem Papptablett rührt er dabei nicht einmal mit den Augen an. Zwei pubertierende, picklige Mädchen stehen ihm gegenüber, lachen ihn aus und wirken dabei als einzige Teilnehmer der Szene realistisch. Wurstmann Wilhelm dagegen steht im Budeninneren hinter seinem Tresen und beult mit einem schweren Hammer ein ramponiertes Parkverbotsschild aus.
In der Boutique „BeauTick“ hängt der Telefonhörer an der Strippe vom gläsernen Einpacktisch neben der Kasse und über den Lautsprecher des eben dort stehenden Telefons ertönt das Besetztzeichen. Dabei ist zu bemerken, dass die im Halbsekundentakt wiederholten Töne unterschiedliche Lautstärken haben. Es ist nicht festzustellen, ob das an der Verbindung oder an einem möglichen Defekt des Lautsprechers liegt.
An der Abfahrtsstelle der Standseilbahn zum Kriegsdenkmal auf dem städtischen Hügel hat sich eine lange Schlange gebildet. Mehrere Asiaten scheinen sich dort zu streiten und zeigen dabei auf Abbildungen in unterschiedlichen Reiseführern. Während des Gesprächs öffnet einer von ihnen seinen Fotoapparat und zieht den Film heraus. Anschließend zieht er das Band mit den bereits entstandenen Belichtungen aus der Kapsel und wickelt es um den Hals seines Gesprächspartners. Im nächsten Moment hat der derart umwickelte den nur wenige Schritte entfernt gelegenen Passfotoautomaten mit der leuchtenden Aufschrift „Pixi“ entdeckt und bewegt sich hastig dort hin. Nach einigen Minuten kehrt er mit kleinformatigen Aufnahmen des zum Streitpunkt gewordenen Bildes in seinem Reiseführer zurück. Über dem Geschehen kreist ein Zeppelin mit Lichtbotschaft: „Mein [dann folgt der Name der Stadt], ist es nicht schön hier?“ Momentan kann man diese Frage nicht uneingeschränkt bejahen.
Ein Anruf bei der Firma „Lorenz Nutzfahrzeuge und Baustellenbedarf“ ergibt, dass sämtliche 14 Betonmix-Lastkraftwagen, wie die Frau am Telefon sagt, für diesen Tag von der Stadtverwaltung angemietet wurden. Zweck und Bestimmung seien ihr unbekannt. Die Frau fügt hinzu, dass nach den ihr vorliegenden Informationen alle Maschinen bis um 16.30 Uhr „wieder auf dem Hof sein sollen“. Etwas Besonderes aufgefallen sei ihr an diesem Vormittag nicht, sagt sie. Allerdings hätte ihre Schwester aus dem Kindergarten, in sie arbeitet angerufen, um ihr zu erzählen, dass gegen 10.15 Uhr ein offenbar Geistesgestörter zweimal kurz hintereinander bei ihnen nach einer Schere und Klebstoff gefragt hätte.
Es ist mittlerweile 14.00 Uhr und die Polizei hat zu einer außerordentlichen Pressekonferenz geladen, der Versammlungsraum im Präsidium ist gut gefüllt. Die anwesenden Journalisten wirken ratlos, als sie unter lautem Getuschel auf das Eintreffen des Pressesprechers warten. Eine Reporterin der Landesredaktion einer überregionalen Tageszeitung ist erst vor wenigen Minuten in der Stadt eingetroffen und erkundigt sich bei einem ihr bekannten Kollegen des städtischen Blattes nach dem „Was-ist-hier-eigentlich-los“. Er aber muss ihr die genaue Antwort schuldig bleiben, ein zufällig mithörender Journalist eines privaten Fernsehsenders schaltet sich ungefragt ein: „Die Leute sind seit heute morgen völlig am Austicken!“ Auf die Frage, von welchen Leute er spreche, kann der schlecht frisierte Fernsehmann nicht mehr antworten, denn in diesem Augenblick tritt der Polizei-Pressesprecher in Begleitung des Innensenators der Stadt die provisorisch ausgeleuchtete Bühne des Versammlungsraumes. „Meine Damen und Herren, ich begrüße Sie-“, beginnt er und wird von einem jähen Feedback der Lautsprecheranlage unterbrochen. Nach einem hastigen Drehen am Mikrophon wiederholt er seine ersten 7 Wörter und fügt ein „herzliches Dankeschön für das schnelle und zahlreiche Erscheinen“ hinzu. Ein Diaprojektor wirft gleichzeitig das unscharfe Bild einer Müllkippe an die Leinwand im rechten Teil der Bühne. Als der Assistent die Schärfe korrigiert, erkennt man einen brennenden Leichnam vor der Abfallhalde.
Ende 1.Teil
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Donnerstag, 19. Februar 2004
Faction: Höfliche Heide
herr denes, 13:48Uhr
Worauf man unerwartet stößt, das vermag von sich aus schön zu wirken. Eine solche ganz eigene Ästhetik haben - nur zum Beispiel - eine Zellstoffabrik in Kaukasien, ein Videoverleih in der Sahara und eine Drehorgelwerkstatt in Kanton.
Aber was halten Sie von einer Höflichkeitsakademie in Hankensbüttel? Diese Institution haben wir nicht etwa wegen der Anapher ausgewählt, sondern sind durch eine Einladung zum Auftakt des neuen Semesters darauf gestoßen. Nach dem Besuch beim Postkasten galt der erste Griff der deutschen Straßenkarte, Maßstab 1:500.000. Hankensbüttel liegt bei Wittingen, und das wiederum bei Uelzen, welches aber wie "Ölzen"auszusprechen ist. Uelzen selbst befindet sich etwa auf halbem Wege zwischen Hamburg und Hannover; Stichwort: Norddeutschland, Lüneburger Heide. Hankensbüttel fällt rein namentlich in dieser Lage gar nicht nicht auf - nur eine Autobahnausfahrt weiter liegt Bienenbüttel, und auch sonst wird in dieser Gegend fleißig gebüttelt. Der Ort taucht sogar in der "Encyclopedia Britannica" auf, wegen seines "Otterzentrums" nämlich. Hört sich idyllisch an, nach "Heidschnucken" genannten Schafen, bärbeißigen Bauern und listigen Honigvertretern. Was spricht also dagegen, das späte Sommerloch mit einer Reportage über Deutschlands erste Höflichkeitsakademie zu füllen?
Die Leiterin der Akademie empfängt mich mit einem sanften, aber bestimmten Händedruck. "Ich heiße Angelika Gerdes und freue mich, daß Sie unser Gast sind. Machen Sie es sich bequem, ich lasse Ihnen etwas zu trinken bringen!" Sehr schön, die 45jährige scheint ihr Geschäft zu verstehen. Höflichkeit sei eine Marktlücke, vielleicht der übernächste große Trend, meint sie. "Alle reden vom Werteverlust; wir tun etwas dagegen!" sagt sie automatisch den Slogan ihres Hauses auf. Hinter ihr hängt ein Plakat eines gut gekleideten Mannes, der dezent lächelt. Darunter steht: "Auch er ist ein Mann von geradezu chinesischer Höflichkeit."
Frau Gerdes hat ein dickes Softcover-Buch zur Hand genommen, dunkelblau mit einer blaßblauen Lilienapplikation auf dem Titel. "Curriculum" steht darauf. Sie erklärt das Veranstaltungsverzeichnis, das im Grunde sehr leicht nachzuvollziehen ist (das gehört hierorts scheinbar zum guten Ton). "Manieren auf dem Bürgersteig" heißt etwa das Seminar Nummer PRA013. "Pragmatik 13, dieses Seminar hat Tradition, es ist eng mit der Gründung dieser Akademie verbunden", sagt Frau Gerdes über die einzige Lehrveranstaltung, die von ihr geleitet wird. In diesem Seminar gehe es um die Fußgänger-Etikette, "vom richtigen Ausweichen über angemessene Armbewegungen bis hin zum Passierenlassen junger Mütter mit Kinderwagen".
In der Pragmatik-Sektion können Menschen mit Höflichkeitsdefiziten noch viele andere Seminare besuchen, die praktische Lebenshilfe bieten sollen. "Aging-Kontakte" heißt eines davon; dort geht es um richtiges, höfliches Benehmen gegenüber "älteren und wesentlich älteren Interaktionspartnern". Ein anderes Seminar widmet sich während der elf Sitzungen der "Höflichkeitshürde verschlossene Tür". Neben Pragmatik gibt es die Sektionen "Mündlich höflich", "Charakterhöflichkeit"und "interkulturelle Höflichkeit".
Ohne Frage haben viele Zeitgenossen eine Erziehung auf diesem Gebiet nötig. Das Problem für die Akademie, deren Seminare kostenpflichtig sind, dürfte darin liegen, daß sich gerade die unhöflichen Menschen selten dieser Schwäche bewußt sind, sonst würden sie sie nicht an den Tag legen. Wer also soll die Schüler heranbringen?
"Ich habe alles, was Sie mich gefragt haben, verstanden und versuche nun zu antworten", entgegnet Angelika Gerdes in der üblichen langsamen Intonation. Höflichkeit werde zu einem Trend, zu einem Ausscheidungskriterium für Akzeptanz, Aufmerksamkeit und den Erfolg bei der Partnersuche. Ein gentleman- bzw. sportsmanlike Verhalten würde die rauhen Sitten bald zu obsoleten Erscheinungen der industriellen Postmoderne machen: "Von der Überholspur zurück nach rechts einordnen, das wird kommen. Dann werden die Leute Durst auf eine kompetente Unterweisung in guten Manieren haben. Eltern werden ihren Sprößlingen das korrekte Verhalten beibringen wollen, nur werden sie selbst nicht mehr wissen, was dieses eigentlich ausmacht."
Die Leiterin der ersten deutschen Höflichkeitsakademie hat eindeutig ihre Hausaufgaben gemacht. Ihr Auftreten rechtfertigt auch die teilweise horrenden Preise der Seminare. Bleibt nur noch die Frage nach der Ästhetik des Unerwarteten. Warum gerade Hankensbüttel? "Einerseits haben wir uns hier niedergelassen, weil man die Kurse mit einem Landurlaub verbinden kann, andererseits läßt sich bei den muffligen Heidebauern gleich der Erfolg der frisch erworbenen Höflichkeit testen."
Der Holundersaft hat gut geschmeckt; zum Nachmittag lade ich Frau Gerdes noch auf eine schöne Tasse Kaffee in der akademieeigenen Cafeteria ein. Der Kellner, ein ehemaliger Schüler, ist so höflich, daß er mir ganz ungefragt die Rechnung in die Hand drückt. Hankensbüttel kann also jetzt problemlos mithalten mit dem Platinenwerk in Alma-Ata, dem Lautsprecherladen in Lesotho und dem Plüschtierladen im Frauenknast. Und das ist doch auch schon was.
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Faction: Der Einkäufer
herr denes, 13:43Uhr
Es ist ein Erlebnis, mit Hackbarth einkaufen zu gehen - ein Abenteuer in der bunten Welt der Konsumtempel, und gleichzeitig (das liegt in der Natur von Hackbarths Sache) in jeder Hinsicht ein Geheimtip. Dabei spielt es keine Rolle, ob man ihn in einen ganz gewöhnlichen Supermarkt begleitet, in ein sechsstöckiges Kaufhaus oder in eines dieser Shopping-Center, die inzwischen fast jede Vorstadt unseres Kulturkreises "bereichern".
Nick Hackbarth geht an fünf Tagen der Woche shoppen. Dabei stehen an jedem dieser Tage Lebensmittel auf dem Einkaufszettel, den er morgens am heimischen Rechner komponiert. (Für den beschafft er sich übrigens an zwei von fünf "Arbeitstagen" neues Zubehör.) Die Ziele seiner Einkaufsbummel sind jeden Tag andere, und auch die Städte, in denen er Läden und Märkte aufsucht, wechseln häufig.
Hackbarth, dessen Vorname bereits kriminalistische Assoziationen weckt, lebt von diesen Shopping-Touren: er ist professioneller Einkäufer - wobei der Ausdruck "Käufer" seinem Verhalten nicht wirklich gerecht wird. Der Mann, der sich selbst gelegentlich als "spezieller Konsumprofi" bezeichnet, ist nämlich weder Warentester noch Restaurantzulieferer, sondern Detektiv. Und nicht etwa ein Kaufhausdetektiv - mit diesem Job machte er schon vor Jahren Schluß, weil er ihm zu langweilig war.
Nein, Hackbarth bietet Supermarktketten, Kaufhäusern und Fachgeschäften seine Dienste als professioneller Ladendieb an. Der Deal mit der jeweiligen Geschäftsführung ist jedes Mal der gleiche: er soll klauen, soviel er kann. Was er unbehelligt aus dem Laden herausschafft, darf er behalten; wenn er erwischt wird, muß er die Sachen zwar abgeben, wird aber keineswegs der Polizei vorgeführt. Das klingt so verworren und verwegen, daß der FAKTENFIKTION sich einfach Klarheit darüber verschaffen mußte - und Nick Hackbarth interviewte.
FaktenFiktion: Den Espresso bezahlt unser Magazin, hätten sie ihn sonst...
Hackbarth: Nicht bezahlt? Doch, doch, mit Sicherheit. Zechprellerei finde ich schäbig, außerdem habe ich von diesem Café keinen Auftrag !
FaktenFiktion: Suchen Sie sich die Aufträge, oder wendet man sich an Sie?
Hackbarth: Als ich mit meinem Job anfing, mußte ich mich noch an die Regionalverwalter und Geschäftsführer wenden, aber inzwischen hat sich meine Tätigkeit in diesen Kreisen ziemlich herumgesprochen.
FaktenFiktion: Wann haben Sie eigentlich begonnen, professionell Ladendiebstähle zu begehen?
Hackbarth: Vor etwa drei Jahren - wobei ich das Teststecken anfangs nur "nebenberuflich" betrieben habe. Die Idee dazu kam mir, nachdem ich auf einem Kriminologenkongreß in den Niederlanden einen Kollegen kennengelernt hatte, der zur Ferienzeit die Alarmanlagen von Häusern überlistete, um deren Besitzer auf Sicherheitsmängel aufmerksam zu machen. Der hat damals mit Sicherheitsberatungen gutes Geld verdient.
FaktenFiktion: Wie haben Sie das gerade genannt - "Teststecken"?
Hackbarth: Na ja, klauen kann ich es nicht nennen, aber einkaufen genausowenig.
FaktenFiktion: Wenn Sie einen Auftrag bekommen, wie gehen Sie dann vor?
Hackbarth: Also, zunächst sammle ich immer einige Aufträge aus einer bestimmten Stadt oder einem Landkreis, damit sich die Anreise lohnt. Dann schreibe ich meinen Einkaufszettel und erstelle einen Zeitplan. Pünktlichkeit ist sehr wichtig in meinem Metier; die Chefs wollen häufig die Aufmerksamkeit bestimmter Mitarbeiter testen, die zu einer festgelegten Zeit Dienst haben.
FaktenFiktion: Wie läuft es denn so im Supermarkt? Kann man wirklich aus jedem Regal klauen, was man gerade braucht?
Hackbarth: Theoretisch kann man in einem Geschäft, wo man ein Stück entwendet, so viel klauen, wie in eine Tasche paßt. Aber ganz so einfach ist das natürlich nicht; die Verkäufer passen schon sehr gut auf.
FaktenFiktion: "Stecken" Sie denn nur, worauf Sie Lust haben und was Sie gerade brauchen, oder setzt man Sie auf bestimmte Waren an?
Hackbarth: Also, gewisse Vorgaben gibt es schon - wobei es meinen Auftraggebern meist auf eine bestimmte Abteilung ankommt und nicht so sehr auf spezielle Artikel. Aber manche Sachen habe ich wirklich schon hundertfach zu Hause.
FaktenFiktion: Was denn zum Beispiel?
Hackbarth: Druckerpatronen für jede Gerätemarke; noch skurriler sind Haarspangen und Kämme - wenn man bedenkt, daß ich kaum noch Haare am Kopf habe...
FaktenFiktion: Wie sieht denn Ihre Erfolgsquote aus? Zum Beispiel bei Lebensmitteln?
Hackbarth (zeigt auf seinen Bauch): Schauen Sie mich an, sei drei Jahren esse ich fast nur noch Testgestecktes! Aber wahrscheinlich werde ich bald zum totalen Vegetarier. Obst und Gemüse habe ich bisher noch in jedem Supermarkt weggekriegt. Aber Fleisch hole ich mir eher abgepackt, weil das Gedränge an der Kühltruhe meist recht groß ist.
FaktenFiktion: Und nach dem "Ladenbummel" gehen Sie dann einfach durch die Kassenschleuse, ohne zu bezahlen?
Hackbarth: Nicht unbedingt. Gelegentlich kaufe ich auch etwas, wie z. B. Waschmittel, das ohnehin recht sperrig ist - oder, wenn ich ganz dreist unterwegs bin, auch nur zwei Zitronen oder eine Packung Kaugummis. Der Großteil bleibt aber gratis für mich.
FaktenFiktion: Und anschließend fahren Sie mit den Waren nach Hause?
Hackbarth: Natürlich nicht. Nachdem ich raus bin aus dem Laden, empfangen mich der Filialleiter oder der Geschäftsführer, und denen präsentiere ich dann meine Ausbeute. Wenn ich viel mitgenommen habe, verdiene ich noch das Geld für meine Miete dazu, indem ich Sicherheitslehrgänge gebe. Dabei verrate ich den Angestellten alle Tricks, mit denen Ladendiebe gewöhnlich arbeiten.
FaktenFiktion: Wie reagieren die Mitarbeiter eines Geschäfts, die Sie übers Ohr hauen?
Hackbarth: Wenn die mich erwischen - das passiert in etwa einem von acht Fällen -, wird es meist peinlich für mich. Die anderen Kunden starren einen an, und oft schlägt auch ganz schnell die blanke Aggression der Angestellten durch. Wenn die sich aber vom Chef eine Predigt anhören müssen, weil Sie mein Treiben nicht bemerkt haben, schauen sie meistens ziemlich dumm aus der Wäsche.
FaktenFiktion: Und wie verhalten sich Ihre Auftraggeber nach einem erfolgreichen "Teststecken"?
Hackbarth: Komischerweise sind die Geschäftsführer eher zufrieden, wenn ich etwas mitgenommen habe, ohne zu bezahlen. Vielleicht, weil sich der Einsatz dann gelohnt hat...
FaktenFiktion: Ihr Photo müßte doch inzwischen landesweit in allen Umkleideräumen der Supermärkte und Kaufhäusern hängen?
Hackbarth (lacht): So schlimm ist es ja doch noch nicht! Ich habe erst an die 800 Läden getestet und bin nur ganz selten als "Wiederholungstäter" aufgetreten. Sie müssen bedenken, daß ich ständig an neuen Orten operiere.
FaktenFiktion: Und wieviel "verdienen" Sie so im Monatsdurchschnitt?
Hackbarth: Ehrlich, das habe ich noch nie zusammengerechnet. Aber mein Lebensstandard ist jetzt garantiert höher als in meiner Zeit als Kaufhausdetektiv und Schnüffler.
FaktenFiktion: Finden Sie das Ihren Job nicht etwas anrüchig?
Hackbarth: Mag sein - aber nicht so anrüchig, wie gegen Bezahlung in Ehekrisen herumzustochern oder "diskrete Nachforschungen" im Rotlichtmilieu anzustellen.
FaktenFiktion: Können Sie uns noch eine besonders interessante oder witzige Anekdote aus Ihrer beruflichen Laufbahn erzählen?
Hackbarth: Im Grunde lebe ich ja in einer Anekdote. Aber meine Arbeit wird umso interessanter, je dreister ich werde. Einmal habe ich an einem Mittwoch in Köln ein Paar "Nike Air"-Sportschuhe für meinen Sohn gesteckt, der die Dinger dann zu Hause anprobiert hat. Die waren eine Nummer zu klein für ihn, also bin ich am nächsten Tag in Remagen in so ein Riesen-Schuhcenter gegangen und habe behauptet, daß ich die Schuhe dort gekauft und in meiner Freude über den günstigen Preis die Quittung verbummelt hätte. Nach etwas Zögern tauschte man sie mir in ein Paar der richtigen Größe um.
FaktenFiktion: Zum Abschluß möchten wir noch gern wissen, wie Sie in einem Fragebogen Ihre Berufsbezeichnung angeben würden.
Hackbarth: Ich pflege mich als Einkäufer zu bezeichnen.
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Montag, 16. Februar 2004
Faction: Der Relativierer (2001)
herr denes, 20:28Uhr
Beeindruckend sieht er aus, der Ingenieur in seinem weißen Kittel, wie er ein kleines Teil aus Edelstahl in einer Feinmeßschraube fixiert und dessen Maße in eine technische Konstruktionsskizze einträgt. Er trägt Gummihandschuhe, die aussehen, als hätte er sie gerade einem Verbandskasten entnommen, dabei handelt es sich bei ihnen um eine antistatische Sonderanfertigung. Der Mann mit den grauen Haaren werkelt am Innenleben eines Elektrogeräts; man kann nur ahnen, daß die Platinen und Röhren einmal zu einem Staubsauger gehören werden.
Der Ingenieur heißt Dr. Heinrich Ewald und arbeitet für Deutschlands größten Elektrogerätehersteller, in der Abteilung "Planung und Entwicklung". Küchengeräte, Unterhaltungselektronik, Staubsauger, Kühlschränke, Waschmaschine und was sonst noch einen modernen Haushalt ausmacht, werden in dem roten Backsteinbau in Berlin-Tempelhof konstruiert und zur Herstellung freigegeben. Dr. Ewald ist dabei nur ein Glied in der Kette, sogar ziemlich weit hinten in derselben. Wenn ein neues Gerät von den Elektronikern, Konstrukteuren und Produktdesignern entworfen wurde, landen die dazugehörigen Pläne und Modelle auf dem Tisch von Raum K 023, der sich - die Bezeichnung läßt es schon vermuten - im Untergeschoß des Fabriksgebäudes befindet. Der Raum hat keine Fenster und ist nicht leicht zu finden. Trotzdem gelang es uns, Dr. Ewald dort zu treffen.
FAKTENFIKTION: Warum ist Ihr Büro so versteckt? Haben Sie etwas zu verheimlichen?
Dr. Ewald: In gewisser Hinsicht schon. Die meisten anderen Mitarbeiter unseres Unternehmens sind über meine Tätigkeit nicht im Bilde.
FAKTENFIKTION: Sie sind doch Ingenieur?
Dr. Ewald: Diplom-Ingenieur für Elektrotechnik, um es genau zu sagen.
FAKTENFIKTION: Das ist noch kein Geheimnis.
Dr. Ewald: Vor einigen Jahren hätte ich auch kein Geheimnis aus meiner Arbeit gemacht. Aber auf Dauer hat mich die Arbeit im zweiten Stock angeödet. Dort sitzen diese jungen Hochschulabsolventen und planen den zwanzigsten, immer energiesparenderen, immer geräumigeren und immer gleichen Kühlschrank. Das ist ein Job für Idealisten und eine Tätigkeit, die bald die Künstliche Intelligenz übernehmen wird.
FAKTENFIKTION: Da sitzen Sie lieber im Keller?
Dr. Ewald: O ja, ich habe hier mein Radio, die kleine Palme und ein Foto meiner Familie. Vor allem habe ich hier aber alle Instrumente, die ich für meine Arbeit brauche und sogar einen eigenen Assistenten. Jerzy, tüchtiger Mann. Ist ein Schweißer aus Polen.
FAKTENFIKTION: Sie sprachen gerade von Ihrer Arbeit; was machen Sie hier eigentlich?
Dr. Ewald: Ich bin Relativierer. In meinem Arbeitsvertrag steht zwar "Mitarbeiter der Abschlußprüfung", aber ich mache doch etwas anderes, als die neuen Geräte abzusegnen oder zu testen. Nein, ich bin Relativierer.
FAKTENFIKTION: Was relativieren Sie?
Dr. Ewald: Sehen Sie, auf diese Frage habe ich gewartet. Das ist nämlich meine Legitimation! Ich relativiere den ganzen Fortschritt, der schneller ist als die Evolution. Sie haben keine Ahnung, was heute technisch bereits alles möglich wäre: Roboterherde, die einen Speiseplan für die ganze Woche aufstellen, frisierende Föne und HiFi-Anlagen, die eigene Musikstücke komponieren. Alles toll, aber wo bleibt da der Mensch?
FAKTENFIKTION: Heißt das, Sie entscheiden, ob ein neues Gerät auf den Markt darf?
Dr. Ewald: So weit bin ich leider noch nicht, die Innovationen regulieren andere. Ich modifiziere mehr die Prototypen.
FAKTENFIKTION: Das klingt ja alles recht abstrakt. Was haben Sie denn beispielsweise an diesem Staubsauger da verändert?
Dr. Ewald: Ich habe das Gebläse relativiert. Die Streber im zweiten Stock haben so ein neumodisches Trenngebläse konstruiert, das dafür sorgt, daß weniger feine Staubpartikel, die man ohnehin nicht sieht, in den Staubsaugerbeutel gelangen. Die verschmutzen dafür den Filter und die Umluft.
FAKTENFIKTION: Hört sich für einen Laien ja erst einmal vernünftig an.
Dr. Ewald: Vernünftig ist das nur, wenn man sehr kurz hinschaut. Aber was ist mit den kleinen Unternehmen, die Staubsaugerbeutel fabrizieren ? Da hängen Arbeitsplätze dran.
FAKTENFIKTION: Sie relativieren also im sozialen Auftrag. Aber welches Interesse hat Ihr Unternehmen daran?
Dr. Ewald: Tja, einige Staubsaugermodelle vorher habe ich den Rahmen für die Beutel etwas modifiziert. Mit einer Magnetscheibe. Und die Ersatztüten kann man nur von unserer Firma kaufen. Aber es gibt auch so eine Art Ehrenkodex unter den Staubsaugerproduzenten, daß man die Beutel nicht überflüssig macht. Keiner will den Tütenherstellern den Garaus machen.
FAKTENFIKTION: Beschäftigen Sie sich ausschließlich mit Staubsaugern?
Dr. Ewald: Nein, die letzten drei Wochen war ich mit der neuen Toaster-Serie unserer Firma beschäftigt. Da war einiges richtigzustellen.
FAKTENFIKTION: Was denn zum Beispiel?
Dr. Ewald: Die waren schon sehr ordentlich, einen Prototyp habe ich mir mit nach Hause genommen, und ich kann Ihnen sagen: sehr guten Toast gegessen! Aber eine Krümelschublade aus verchromtem Edelstahl braucht doch kein normaler Endverbraucher. Die sieht man eh die meiste Zeit nicht, und dann geht sie obendrein nie entzwei.
FAKTENFIKTION: Sie haben neue Krümelfächer installiert?
Dr. Ewald: Aus Plastik, die quietschen auch nicht so beim Herausziehen.
FAKTENFIKTION: Lassen Sie mich raten - damit die Kollegen, die einzelne Ersatzfächer bauen, nicht arbeitslos werden.
Dr. Ewald: Ich sehe, Sie haben mich verstanden. Vor einem Monat habe ich einen neuen Fernseher in der Werkstatt gehabt. Das war ein Musterbeispiel für das Mißverständnis unserer Entwickler. Die hätten vierzig Jahre gehalten. Dabei ist es doch die größte Freude des Menschen, zu planen...
FAKTENFIKTION: ...welchen neuen Fernseher er sich kaufen wird. Und - was haben Sie daran verändert?
Dr. Ewald: Da hat mir Jerzy geholfen. Ich hätte ja nur die Platinen mit schwächeren Widerständen bestückt, aber er hat mich erst auf die Idee gebracht, die Gaskonzentration im Inneren der Röhre zu verändern.
FAKTENFIKTION: Neue Lebenserwartung?
Dr. Ewald (strahlt): Ehrlich?
FAKTENFIKTION: Bitte!
Dr. Ewald: Keine sieben Jahre!
FAKTENFIKTION: Ich habe zu Hause auch ein Gerät von Ihrem Unternehmen, eine Stereoanlage, die habe ich mir vor zwei Jahren endlich geleistet. Können Sie mir etwas darüber sagen?
Dr. Ewald: Wenn es die ER 8047 ist, dann...
FAKTENFIKTION: Ja?
Dr. Ewald: Tja, also Kassetten sollten Sie höchstens noch ein Jahr lang über die Anlage laufen lassen, wenn Ihnen etwas daran liegt. Und dann gebe ich Ihnen einen internen Abholschein, mit dem können Sie sich ein paar neue Boxen holen. Am besten die ERS 47, die habe ich nämlich ausgemustert! Ich habe die Dinger nur "die Lebenslänglichen" genannt. Schreckliche Innovation.
FAKTENFIKTION: Was ist Ihre Meinung zum EXPO-Skandal mit Burma? (Wir berichteten über die ewig brennende Glühbirne, die dann doch nicht ausgestellt wurde, weil ein großes deutsches Unternehmen dem Land eine Bestechungssumme zahlte; Anm. der Red.)
Dr. Ewald: Da sieht man, was passiert, wenn es keinen zwischengeschalteten Relativierer gibt!
FAKTENFIKTION: Gestatten Sie mir noch eine Frage: Haben Sie viele Freunde?
Dr. Ewald: Relativ wenige.
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Sonntag, 15. Februar 2004
Faction: Der Propagandist
herr denes, 12:20Uhr
Jeder kennt die auffälligen Typen, die häufig in Fußgängerzonen, auf Märkten oder vor Kaufhäusern zu finden sind. Sie stehen an einem primitiven Stand, packen einen Haufen Konsumgüter in eine Plastiktüte und rufen immer wieder den gleichen Preis aus. "Wenn Sie jetzt denken, das ist ja schon ein tolles Angebot, dann werden Sie gleich staunen. Ich gebe Ihnen noch den extra-saugfähigen Spülschwamm, die flexible Bürste und das Allzweck-Haushaltstuch dazu. Kommt alles in den Sack - für nur 12 €!" Die eigentliche Faszination solcher Verkaufspräsentationen machen die dauergewellten, alten Damen aus, die mit gewohnt skeptischem Blick und kopfschüttelnd das merkantile Treiben der Marktschreier verfolgen, um die Wundertüten dann am Ende tatsächlich zu kaufen.
Mickey ist ebenfalls so ein Propagandist - nur handelt der adrette, blondgefärbte junge Mann nicht mit Haushaltsutensilien, sondern mit einer viel abstrakteren Ware. Die Idee hatte der Absolvent des modischen Studiengangs "Kommunikationsdesign" auf einem Bummel über den Hamburger Fischmarkt, auf dem seit Jahrzehnten Fischer und Händler aus dem gesamten Nordseegebiet allmorgendlich ihre Aale, Schollen und Krabben feilbieten.
Damals suchte Mickey einen Kompagnon für eine eigene Werbeagentur, doch keiner seiner Bekannten traute sich die schwierige Kundenakquisition zu. Er selbst hatte nicht genug Geld für eine eigene Firma, wollte gleichzeitig aber auch nicht von den (ökonomischen) Launen eines Arbeitgebers abhängig sein. Mickey war davon überzeugt, es auch ohne Startkapital schaffen zu können - er müßte nur sein Talent beweisen, eine Information schnell und effektvoll zu verbreiten. Heute, nicht einmal drei Jahre später, hat Mickey das Start-up-Unternehmen für ein neues Ressort in der Werbebranche - und bereits über sechzig Angestellte. FAKTENFIKTION schilderte er, wie es dazu kommen konnte.
FAKTENFIKTION: Sie gelten als Erfinder des "faming". Was bedeutet dieser Ausdruck?
Mickey: Das heißt, ein Gerücht oder eine Neuigkeit in alle Weltgegenden zu verbreiten.
FAKTENFIKTION: Aber das ist doch nichts Neues...
Mickey: Nein, neu ist es natürlich nicht, nur für die Werbebranche war es ein längst fälliger Impuls. Ein neuer Typ von Kampagnen, sozusagen.
FAKTENFIKTION: Damit man sich Ihre Arbeit besser vorstellen kann: Wie sieht Ihre bisher letzte "faming"-Kampagne aus?
Mickey: Die aktuelle Propaganda läuft für ein bekanntes Produkt der Körperhygiene. Darf ich den Namen nennen...?
FAKTENFIKTION: Klar!
Mickey: Also, für "Rocket"-Tampons, die aus Amerika kommen. Die haben so eine Art Startrampe zum Einführen, das ist viel hygienischer.
FAKTENFIKTION: Und dieses Gerücht verbreiten Sie derzeit?
Mickey: Genau, wobei ich ja auch schon viele Mitarbeiter und OLs - Opinion Leader - habe. Meine OL-Kartei umfaßt mittlerweile über 650 Namen.
FAKTENFIKTION: Sie wenden sich also an Meinungsführer, die die Kunde dann weiterverbreiten. Genügt das wirklich schon, um ein Produkt bekannt zu machen?
Mickey: Das läuft ja viel differenzierter. Wenn eine Firma zu uns kommt, fragen wir zunächst nach der Zielgruppe, nach den spezifischen Eigenheiten des Produktes, das bekanntgemacht werden soll, und wann es auf den Markt kommt. Dann lassen wir uns Proben und Prototypen geben, die wir selbst erst einmal durchtesten. All das findet mehrere Monate statt, bevor der Artikel überhaupt auf den Markt kommt.
FAKTENFIKTION: Und dann wird ein Gerücht gestrickt?
Mickey: Genau, das ist das Wichtigste überhaupt. Sonst arbeiten wir ja auch nicht anders als andere Werbeagenturen - die Gerüchte machen die besondere Eigenheit unserer Vorgehensweise aus. Zumal wir in 80 Prozent der Fälle zusätzlich zu einer anderen Werbeagentur beauftragt werden, die sich um konventionelle Aktionen wie TV-Spots und Plakatwerbung kümmert.
FAKTENFIKTION: Welches Gerücht haben Sie denn beispielsweise über die "Rocket"-Tampons verbreitet?
Mickey: Oh, da gab es einige. In Großstadtbezirken verteilten wir an unsere Opinion Leader ganz spezielle Probepackungen, die Tampons mit Parfümierung und in knalligen Farben enthielten; außerdem lösten sich die Artikel nach Gebrauch einfach im Toilettenwasser auf. Ja ja, die Großstädter muß man schon beeindrucken.
FAKTENFIKTION: Das heißt, Sie haben ein höherwertiges Produkt vorgemogelt?
Mickey: Vorgemogelt würde ich das nicht nennen. Wir haben die Leute auf ein insgesamt gutes neues Produkt gestoßen, daß sie sonst links liegenlassen würden. Man muß heutzutage schon übertreiben, um die Aufmerksamkeit des durchschnittlichen Westeuropäers zu wecken - schauen Sie sich doch nur einmal das Fernsehprogramm an.
FAKTENFIKTION: Wir wollen doch nicht zu sehr vom Thema abweichen. Wie haben Sie denn auf dem Lande für die Wunderdinger geworben?
Mickey: Bei den widerspenstigen Pfälzer Bäuerinnen haben wir Mittelsfrauen eingeschleust, die die Damen durch Anspielungen auf ihr Hinterwäldlertum gezielt provozierten. Weiterhin haben wir ein paar kleine Provinzblättchen bestochen, Artikel über die bevorstehende Lösung aller Menstruationsprobleme zu publizieren.
FAKTENFIKTION: Jetzt wird uns schön langsam klar, was Sie mit Propaganda meinen. Welches war denn Ihr erstes Gerücht?
Mickey: Das war mein Plan, bekannt zu werden. Ich lief über den Hamburger Fischmarkt und sah die Schreier. Na, und vorher hatte ich diesen Oldie im Radio gehört, "I Started A Joke" von Burt Bacharach. So reimte...
FAKTENFIKTION: Bee Gees!
Mickey: Bitte?
FAKTENFIKTION: Der Song ist von den Bee Gees, aber egal. Erzählen Sie bitte weiter.
Mickey: Na, ich dachte mir, ich müßte nur den Umstand nutzen, daß ich sehr viele unterschiedliche Leute kenne - und ich wollte versuchen, über dieses Netz irgendeine Information zu verbreiten.
FAKTENFIKTION: Dann war Ihr erstes Gerücht also ein Witz?
Mickey: Das ist richtig!
FAKTENFIKTION: Meinen Sie, ich kenne ihn auch? Ist der Witz von Ihnen?
Mickey: Fast jeder sozial integrierte Mensch müßte ihn vor gut drei Jahren gehört haben. Hier, ich habe ihn aufgeschrieben! (Er zeigt ein laminiertes und bedrucktes Blatt.)
FAKTENFIKTION: Unglaublich! Und der soll von Ihnen sein!?
Mickey: Sonst würde ich heute keine halbe Million im Monat verdienen.
FAKTENFIKTION: Brutto?
Mickey: Netto!
FAKTENFIKTION: Sagen Sie, wollen Sie nicht auch für uns Propaganda machen?
Mickey: Aber klar, wenn Sie sich das leisten können. Mir fällt da auch schon was ein. (Er beugt sich vor und flüstert dem Interviewer etwas ins Ohr.)
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Faction: Bands, die es nicht gibt: BaRock
herr denes, 12:16Uhr
Bei einem Bummel durch die Innenstadt von Göteborg hat man das Gefühl, daß es hier mehr Musikalienhändler als Schuhgeschäfte gibt. Von der Geige bis zum Drumset bieten die schmucken Instrumentengeschäfte der zweitgrößten Stadt Schwedens alles, was Musiker unterschiedlicher Stile brauchen, um ihre Werke zu zelebrieren. Der Besitzer eines solchen Ladens im Stadtteil Örgryte, Magnus Sjögren, führt sein Geschäft schon in dritter Generation und verkauft selbst seit über 25 Jahren "Rock-Utensilien".
Magnus berät gerade vier junge Männer, die sich für Gitarren und Bässe interessieren. Obwohl die Kunden, die er bedient, kaum über zwanzig Jahre alt sind, zeigt er Ihnen die teuren Instrumente von Gibson, MusicMan und Paul Reed Smith. Der Musikalienhändler weiß: "Geld ist bei uns sekundär. Die staatliche Förderung macht Träume wahr. Jede junge Band kriegt Geld und Übungsräume zur Verfügung gestellt. Die Jungs hier haben ja noch mehr, sie haben den 'PopEx'-Contest gewonnen. Popmusik und Kultur ganz allgemein werden in Schweden als Exportgröße angesehen."
Die vier jungen Käufer, die nach einer guten Stunde mit zwei "Paulas" und einem "Stingray"-Baß aus dem vollgestopften Laden marschieren, heißen, wenn sie zusammen Musik machen, BaRock. In der Coffee-Bar, gleich neben Magnus´ Laden, stellt Bandleader und Sänger Lasse die Band vor: "Mikael ist der mit den Locken, er spielt Sologitarre und singt die Backings. Er und ich haben die Band nach einer Klassenreise nach Paris und Versailles gegründet. Unser Rhythmusgitarrist heißt Klaas und ist mit 24 der älteste; er ist seit zwei Jahren in der Band und hat mit mir zusammen alle Songs für unser Album geschrieben. Er hat auch Locken (lacht). Daneben sitzt Pär, unser Drum-Tier, natürlich auch lockig. Er hat früher bei unseren schärfsten Konkurrenten getrommelt, Rockoko Revival."
Lasse selbst hat keine Locken, ist kahlgeschoren und besitzt definitiv die längsten Wimpern des Rockgeschäfts. Wie der Bandname schon vermuten läßt, hat die Stilepoche des Pomps und der prallen Engelchen es den Schweden angetan. Optisch wie musikalisch haben sie den "Style" des 17. Jahrhunderts adaptiert. Das groß geschriebene "R" zeigt jedoch, daß das Quartett sich auch und vor allem als Rockband versteht. "So hat es ja angefangen, in der Garage, mit schmutzigem Sound und scheppernden Drums. Die Stooges, die Ramones und aktuelle Bands wie die Hellacopters haben uns inspiriert", erinnert sich Lasse an die Anfangstage. Geschichte hatten die Musiker damals noch nicht im Kopf, erst die erwähnte Klassenfahrt nach Frankreich brachte Lasse und Mikael auf den Barock-Trip.
Der Sologitarrist schwärmt bis heute von Versailles: "Den Sex & Drugs-Lifestyle haben die Typen damals auch gelebt. Wenn es Jimi Hendrix und die Stones damals schon gegeben hätte, wären sie wahrscheinlich die Hofmusiker von Ludwig XIV. gewesen. Mir gefällt der Überfluß, der Kitsch, die Möglichkeit, zu zeigen, wie gut es einem geht!" Der Hang zu Dekadenz und Glamour hat sich denn auch stark in der Musik von BaRock niedergeschlagen: Ellenlange Soli und fast wiehernder Gesang charakterisieren die Songs ihres Debüts, das auf die gleiche Weise poppig wirkt wie einst T-Rex oder die Stones (die diese Kunst heute noch ganz gut beherrschen).
Musikexperten und Plattenfirma hat die Göteborger Band allerdings mehr mit ihren Live-Shows beeindruckt. Mit denen erspielte sich BaRock auch eine treue Anhängerschaft, die vor allem durch Perücken mit weißen Locken auffallen, wie man sie von traditionellen britischen Gerichtsverhandlungen kennt. Die Band tritt in festlich geschmückten Clubs und Theatern auf, als Getränke werden nur Wein und Wasser serviert, und parallel zum Bühnengeschehen schafft ein Maler Gemälde aus Öl und Acryl. "Das ist nicht nur Show", stellt sich Lasse präventiv allen Boygroup-Vermutungen entgegen. "Wir wollen andere Leute für eine Epoche begeistern - das ist eine Kulturmission, die wir erfüllen."
Diese Aussage scheint zwar etwas übertrieben, aber in ihrer Heimat sind die Burschen allemal erfolgreich. Die bisherigen Single-Auskopplungen (siehe Review) schafften mühelos die Top Ten, und auch im deutschsprachigen Raum ist BaRock einiges zuzutrauen. Ihr Album wird in wenigen Wochen bei uns erscheinen; live wird man die Band allerdings erst im nächsten Jahr in Augenschein nehmen können.
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Samstag, 14. Februar 2004
Faction: Treppensteigen bald passé, Adressbuchspion, Floskeln-Nummerierung
herr denes, 19:53Uhr
.Kein Treppensteigen mehr!
Wer eine Wohnung im vierten oder fünften Stock eines Hauses ohne Lift hat, dem stehen goldene Zeiten bevor: Anfang nächsten Jahres kommt nämlich der "Kletter-Maxe" auf den Markt, ein teleskopartig ausziehbares Gestänge, das sich an jeder Hauswand befestigen läßt. Mit dem Gerät, das am Balkon oder Fenstersims der hochgelegenen Wohnung befestigt wird, kann man sich bequem nach oben befördern lassen. "Kletter-Maxe" verfügt über einen schwachen Motor, der aber mit Hilfe eines doppelten Seilzugs Gewichte von bis zu 70 kg tragen kann. Bei schwereren Menschen muß jemand am oberen Ende des Gestänges (also in der Wohnung) ein wenig mithelfen. Die Befestigung geht dank einer ausgefeilten Saugtechnik denkbar einfach vonstatten. Momentan wird die Erfindung noch vom Technischen Überprüfungsverein auf ihre Unbedenklichkeit hin getestet. Der Stückpreis soll bei etwa 600,- € liegen; erhältlich wird der "Kletter-Maxe" unter anderem in Fahrradgeschäften sein.
.Mailerwunder?
Nach bisher unbestätigten Berichten eines kanadischen Nachrichtendienstes über neue Trends in der Computerbranche steht ein neues E-Mail-Programm einer kleinen Software-Firma in Edmonton/Kanada kurz vor der Fertigstellung. Das intelligente Tool soll neben den üblichen Aufgaben - wie dem Verfassen, Senden und Empfangen von Mails - auch in der Lage sein, online festzustellen, in welchen fremden Adreßbüchern die Adresse des Benutzers gespeichert ist. Außer dieser in punkto Nutzen noch fragwürdigen Neuerung soll der "MailSpy", der angeblich ab Ende dieses Jahres als Freeware von der Homepage der Software-Firma heruntergeladen werden könne, auch in der Lage sein, gespeicherte Entwürfe anderer Internet-Teilnehmer von Mails an den Benutzer von deren Rechner zu "saugen". Damit wäre der Anwender von "MailSpy" in der Lage, auch Texte, Gedanken und Nachrichten, die (noch) nicht für ihn bestimmt waren, zu lesen. Die Computerexperten der Redaktion halten die Machbarkeit eines solchen Programms allerdings für äußerst unwahrscheinlich. Ein tschechischer Hacker stellte in ein Diskussionsforum zu diesem Programm wiederum die Nachricht, daß es so ein Programm "schon längst" gebe und jeder nur bescheiden begabte Hacker in der Lage sei, so etwas zu programmieren.
. Floskeln nummeriert
Was waren das noch für Zeiten, als sich Liebespaare vor einer mehrwöchigen Trennung stundenlang am Bahnsteig abküßten, zärtliche Botschaften in die Ohrmuscheln flüsterten und dazu druckreife Romantik schwurbelten. Es war jene vergangene Ära, in der sich Geschäftsfreunde minutenlang mit nachlassendem Druck die Hände schüttelten, sodaß man schon aus der Ferne an ihrem ostentativen Kopfnicken erkennen konnte, welche demagogischen Belanglosigkeiten sie austauschten. Vorbei! Wenn es nach der Interessensvereinigung P.R.O.G.R.E.S.S. geht, die aus fünfundzwanzig Vertretern großer Unternehmen sowie der österreichischen Regierung besteht, sind allzulange Verabschiedungen eines der Hauptübel, an denen unsere unproduktive Gesellschaft krankt. Es fehlt Zeit, zum Arbeiten, zum Lernen und zum Schlafen, sagen die Manager - und wollen nun selbst dafür sorgen, daß es wieder mehr entscheidende Minuten für die aus ihrer Sicht wesentlichen Dinge (s. o.) gibt. Verabschiedungen sollen in absehbarer Zeit nicht mehr mit pathetischen Worten und aufwendigen Gesten durchgeführt werden, sondern mit einem neu einzuführenden Floskelcode. "Nummer 6, meine Liebste!" heißt nach diesem Schema "Mach´s gut!" und "Ich sag´ einfach Nummer 3!" bedeutet "See ya!" Nach Schätzungen der Forschungsabteilung von P.R.O.G.R.E.S.S. sollen den Österreichern durch das Floskelalphabet zwei Stunden pro Woche geschenkt werden. Über eine entsprechende rechtliche Umsetzung berät in diesen Tagen der Petitionsausschuß des Parlamentes. Wir meinen: "Eine gutgemeinte Nummer 14!"
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Freitag, 13. Februar 2004
Faction: Der Auskenner (2000)
herr denes, 15:21Uhr
Nicht nur prominente Frauen beschweren sich immer öfter über "Stalker", die sie auf Schritt und Tritt verfolgen und alles über sie herauszufinden versuchen. Ein Münchner Aufreißer verfolgt diese Taktik bei seinen Disko-"Kandidatinnen" - via PC und Internet.
Große Liebhaber der Geschichte hatten klangvolle Namen - Casanova bespielsweise (das heißt "Neuhaus"), oder Don Juan (= "Edelmann Johann"). Gianni Maltagliati ist auch so ein eindrucksvoller Name; übersetzt man ihn jedoch, kommt dabei die ernüchternde deutsche Variante "Jens Fehlschnitt" heraus. Sieht man sich Gianni etwas genauer an, dann muß man gemeinerweise an den lateinischen Sinnspruch "nomen est omen" denken.
Dabei ist auch er ein großer Liebhaber, der eine interessante Möglichkeit entdeckt hat, das Zwischenmenschliche in der Vordergrund zu stellen.
FAKTENFIKTION: Gianni, du hast italienische Vorfahren?
Gianni: Das ist richtig.
FAKTENFIKTION: Deine Eltern?
Gianni: Ebenfalls richtig.
FAKTENFIKTION: Und jetzt lebst du in München?
Gianni: Genau. In Laim.
FAKTENFIKTION: Kommen wir mal zum Punkt: Du siehst ja nicht gerade wie ein Frauentyp aus.
Gianni: Wie kommen Sie darauf?
FAKTENFIKTION: Nun ja, das war ganz verallgemeinernd gesagt. Normalerweise wird ja der Durchschnitt als schön empfunden - und du siehst nun einmal nicht wie der Durchschnitt aus.
Gianni (lacht): Das sage ich auch immer. Ich bin eine Abweichung. Meine Nase ist schief, und meine Lippen sind viel zu schmal. Aber immerhin erkennt man mich wieder.
FAKTENFIKTION: In Münchner Diskotheken bist du als "Abräumer" bekannt. Wie schaffst du das?
Gianni: Wissen. Wissen ist Macht. Ich gehe auf die zwischenmenschliche Ebene.
FAKTENFIKTION: Du bist also ein gebildeter junger Mann und überzeugst die Kandidatinnen mit deinem Intellekt?
Gianni: Ja und nein! Ich bin gebildet, aber nur in einem bestimmten Sinne. Ich weiß vorher alles über die Frau, die ich anspreche.
FAKTENFIKTION: Was heißt "alles"?
Gianni: Schuhgröße, Lieblingsfarbe, letzter Urlaub, bevorzugte Musik, Geschmack, Charakter.
FAKTENFIKTION: Sehr interessant. Und wie findest du das alles vorher heraus?
Gianni: Wir leben in der Informationsgesellschaft, da ist das kein Problem. Allerdings müssen die Frauen einen PC und einen Internet-Anschluß haben.
FAKTENFIKTION: Aha, du bist also Hacker!
Gianni: No, no! Ich bin Forscher. Zielorientierter Forscher. Ich will keine Kreditkartennummer, sondern nur alle Wünsche der jeweiligen Kandidatin erfüllen.
FAKTENFIKTION: Darüber könnte man streiten, aber lassen wir das. Wie verwendest du denn das Wissen, das du auf diesem Wege sammelst?
Gianni: Ich versuche, ein Gespräch zu lancieren. Das ist mein größtes Problem - bis sie mit mir reden. Dann kann ich anfangen, über die Uni oder den Fitneßclub oder das Konzert mit ihnen zu sprechen; je nachdem, was die Kandidatin beschäftigt.
FAKTENFIKTION: Wieso sagst du eigentlich immer "Kandidatin"?
Gianni: Weil ich erst einmal herausfinden muß, ob die Frau alle Voraussetzungen erfüllt. Sie muß auf Zwischenmenschliches großen Wert legen und darf sich nicht daran stören, daß ich nur 1,65 m klein bin.
FAKTENFIKTION: Wie ist deine Erfolgsquote?
Gianni: Nicht gut, nicht schlecht. Ich war in den letzten drei Jahren jedenfalls nie länger als sechs Wochen Single.
FAKTENFIKTION: Wie findest du die zur Bespitzelung notwendigen Eckdaten heraus? Ich meine: Namen, E-Mail-Adresse, Telefonnummer usw.?
Gianni: Ich bin mit den meisten Barkeepern und Türstehern befreundet. Außerdem kenne ich in den Diskos, die ich regelmäßig aufsuche, viele Leute. Gerade die Männer geben mir oft und gerne die jeweiligen Namen, weil die sich denken: "Der hat eh keine Chance."
FAKTENFIKTION: Was glaubst du, wie lange dieses Spiel noch gutgehen wird?
Gianni: Wenn es nach mir geht, muß es gar nicht mehr gut gehen. Aber bisher haben die Frauen spätestens nach drei Monaten herausgefunden, wie ich alle diese Dinge über sie in Erfahrung gebracht habe. Trotzdem hoffe ich nach wie vor auf die Frau fürs Leben.
FAKTENFIKTION: Na dann, viel Glück bei der weiteren Suche!
Gianni: Danke. Übrigens ist der Server Ihres Magazins nicht besonders gut gesichert. Ich habe da vor kurzem diese Redakteurin...
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Faction: Popstar nach OP, Vanillerausch, Bäume: Börsengang
herr denes, 15:20Uhr
.Gesangs-OP
Peter Alexander pflegte bei seinen Show- und Gala-Moderationen das Publikum mit dem Satz "Jeder kann singen!" zu motivieren. Was der große Mann des deutschsprachigen Entertainments nicht ahnen konnte, war der geradezu visionäre Charakter seiner Aussage. Denn im Karaoke-verrückten Japan wurde im vergangenen Monat auf einer Messe für Unterhaltungselektronik ein Stimmband-Chip vorgestellt, der mit einer verhältnismäßig einfachen Operation in den menschlichen Körper zu implantieren ist. Im Rahmen des Eingriffs würden nach Angaben der Herstellerfirma Yamaha auch leichte Modifikationen des Kehlkopfs durchgeführt; anschließend könnte der Besitzer/Träger des Stimmband-Chips eine Unzahl großer Stimmen aus Oper, Pop und Schlagermusik täuschend echt imitieren. Dazu müsse nur für eine Dauer von etwa zehn Sekunden ein Grundton gesummt werden, damit der Chip den richtigen Parameter auswählen könne. Momentan seien unter anderem Pavarotti, Tina Turner und Fred Astaire erhältlich, an genrespezifischen Sondermodellen werde aber fieberhaft gearbeitet.
.Neue Rauschdroge
Es ist ein Geheimtip für die Sinne - und könnte der Beginn eines neuen Zeitalters der Berauschung sein: In französischen Universitäten werden neuerdings Vanilleschoten gesnieft. Zu diesem Zwecke schlitzt man die dunklen Stangen in der Mitte auf und pulverisiert das Vanillemark in einer Mühle. Studenten der Uni Montpellier beschrieben die Wirkung als "erkenntnisstiftend, hormonanregend und prickelnd". Wie fast jede Droge hat auch die Vanilleschote unangenehme Nebenwirkungen: Der Konsument wird auf die umgerechnet etwa 1,50 € teuren Gewürz-Hits süchtig; in einzelnen Fällen soll es sogar zu psychosomatischen Störungen gekommen sein. Daher erwägt das französische Parlament ein Verbot des Ziehens von Vanille-Lines.
.Bäume an die Börse
Den meisten europäischen Staaten geht es wirtschaftlich schlecht. Eine ständig wachsende Neuverschuldung hat in den vergangenen zehn Jahren zu einer gigantischen Privatisierungswelle geführt - was bei Post- und Eisenbahngesellschaften noch einigermaßen nachvollziehbar war, ansonsten aber eher nach Ausverkauf riecht. In Nürnberg sind in der letzten Woche Pläne durchgesickert, nach denen die Stadtväter staatseigene Grünanlagen und Straßenbäume an Privatbesitzer, genauer gesagt, die jeweiligen Eigentümer der anliegenden Häuser und Wohnungen, verkaufen wollen. Bäume in der Stadt seien ein Luxus, gut fürs Auge und die Gesundheit, aber dies müßten sich die Bürger auch etwas kosten lassen, meinte ein Sprecher der Stadtverwaltung. Man solle doch nur einmal nach Amerika schauen, wo es fast nur "graue" Städte gäbe. Eine Eiche in einer Nebenstraße soll zu einem Preis von 855 € verkauft werden, für die Pflege und Instandhaltung seien anschließend die neuen Eigentümer verantwortlich. Falls die Stadt ihre Bäume nicht an den Mann bringen kann, will sie diese entweder abholzen oder verkümmern lassen.
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Freitag, 13. Februar 2004
Faction: Das Rätsel von Neuenburg (2000)
herr denes, 00:37Uhr
Auf der Dorfstraße herrscht nicht viel Verkehr. Mit Schrittgeschwindigkeit biegt ein grün-gelber Traktor in einen Feldweg ein, ein junger Mann putzt die Fenster der Apotheke. Es ist Mittagszeit und auch im Saarland pflegt man, dann eine Ruhepause zu nehmen. Eine gute Gelegenheit zum Schauen. Auf der saftigsten Weide des kleinen Dorfes Neuenburg bei Kaiserslautern steht ein runder Holzschuppen, der gut fünf Meter hoch ist und kein Dach hat. Nähert man sich diesem ungewöhnlichen Bau tagsüber, dann wird man schon nach einigen Schritten von einem der mürrischen Ortsansässigen gestoppt. Jetzt scheint niemand aufzupassen, es ist an der Zeit, dass jemand das Rätsel von Neuenburg löst.
Der fensterlose Bau an der Homburger Straße hat schon ganze Meuten von Lokalreportern beschäftigt. Rudolf Ehrmann von der „Saarland Rundschau“ berichtet von einer „ungewöhnlichen Verschwiegenheit“ unter den sonst redseligen Dorfbewohnern. Er hat sich vor gut zwei Monaten eine Platzwunde am Hinterkopf bei dem Versuch zugezogen, den Schuppen zu begehen. „Das war die Bürgerwehr. Da arbeiten alle Männer des Dorfes“, erklärt Ehrmann. Der Schuppen ist vor einem halben Jahr aufgetaucht, von einem Tag auf den anderen. Beim Grundamt ist die Gemeinde als Besitzer eingetragen. Ehrmann selbst hat keine Idee, was es mit dem Schuppen auf sich hat. Dafür hat er festgestellt, dass seit der Bau 1999 fertig wurde, der finanzielle Wohlstand in Neuenburg spürbar zugenommen hätte. Immer wieder habe er den Bürgermeister und einige Gemeindevorsteher befragt, sie wollten aber nichts dazu sagen. Vor einigen Wochen hätten er und ein Fotograf eine Longitudinal-Beobachtung durchgeführt, dafür haben sie in ihrem Auto Tage und vier Nächte vor dem Holzbau verweilt. „Wir hatten uns extra genug zu essen und zu trinken mitgebracht, weil war ja wussten, dass uns von den Leuten aus dem Dorf niemand was verkaufen würde.“
Ein schneller Satz über den Schwachstromzaun und schon ist man auf der Wiese vor dem Schuppen. Ehrmann geht voraus. „Nicht zu oft umgucken“, empfiehlt er und tut es selbst doch viel zu häufig. Trotzdem hat niemand etwas bemerkt. Die Mittagszeit bietet hier offenbar wirklich die beste Gelegenheit zum Angriff. Die Kleinbildkamera, die Ehrmann auf Hüfthöhe hält, erkennt man nur am mechanischen Klang des Filmrades. „Hier haben die mir damals eins übergebraten“, sagt er hechelnd und setzt trotzdem oder gerade deswegen schnellen Schrittes den Weg zum Schuppen fort. Dort angelangt gilt es zunächst eine Schiebetür zu öffnen, was sich zunächst als schwieriges Hindernis erweist. Ehrmann zieht sein Multifunktionswerkzeug aus seiner Reporterweste und verschmälert dabei seine Augen, als sei er MacGuyver. Tatsächlich gelingt es ihm dann aber auch, die Tür zu öffnen und einen Blick in den Bau zu werfen. Er stößt einen nicht ohne weiteres zu definierenden Laut aus, der nach einer eigenen Observation geradezu schreit. Nichts. In dem Schuppen auf der saftigsten Wiese Neuenburg ist nichts. Wobei „nichts“ auch nicht ganz stimmt, die Weide ist dort so gut gewachsen wie drum herum auch. Hat sich das riskante Manöver nicht gelohnt.
Wenig später, auf der Fahrt nach Saarbrücken zeigt Ehrmann sich frustriert. Ratlos sei er. Obendrein hätte er, noch bis ins Mark schockiert, vergessen, den entscheidenden Anblick –den des Nichts eben- mit der eigens dafür erstandenen Kamera festzuhalten. Die Möglichkeit einer Fotomontage schließt er aus berufsethischen Gründen aus. „Des Scheißding konn misch ma am Asch lecke!“ Das sind vielleicht die feinen Unterschiede zwischen Lokalreporter und einem Autoren mit weiterem Blickwinkel. Ehrmann hat Mängel in der Kombinatorik.
Neuenburg hat 1998 einen saftigen Betrag aus einem EU-Regionalfonds erhalten. In einem Bericht der Wirtschafts- und Strukturkommission aus jenem Jahr ist diese Zahlung als Punkt 245 vermerkt. „Rettungshubschrauber für Gemeindestädte – Ambulanz für die Region“, lautet der dazugehörige Projektname. Für dieses Geld hatten sich seinerzeit der Bürgermeister und der Gemeinderat stark gemacht, entgegen den Empfehlungen der saarländischen Landesregierung. Hintergrund der Kontroverse war ein Streit zwischen der SPD-Landesregierung und dem CDU-Bürgermeister. In Saarbrücken ahnte man wohl bereits, dass ein Rettungshubschrauber nicht gerade zum notwendigsten Inventar der strukturschwachen Region gehörte.
Mit dem Regierungswechsel auf Landesebene geriet jedoch die scharfe Beobachtung der Neuenburger Millionen in den Hintergrund, eine Delegation von EU-Mitarbeitern bekam bei ihrem Besuch im Jahre 1999 lediglich den Rohbau des Holzschuppens zu sehen und das zur Leitzentrale umfunktionierte Büro eines Dorfbewohners. Zufrieden kehrten die spendablen Gäste nach Brüssel zurück, sie hinterließen einen Stapel von Bewertungsbögen, die die Neuenburger regelmäßig ausfüllen und zur Analyse an die entsprechende Abteilung des Regionalfonds schicken sollten.
12,8 Millionen Mark hat Neuenburg für einen Rettungshubschrauber bekommen, den die Gemeinde nie angeschafft hat. Nur ein Bruchteil dieser Summe wurde in zwei neue Notarztwagen investiert, in den verdächtigen Holzschuppen und in eine eigens dafür geschaffene Bürgerwehr. Der Rest, nach unseren Schätzungen etwa 8,5 Millionen Mark dürfte schön säuberlich unter den 4000 Bewohnern aufgeteilt worden sein. Das macht einen Schnitt von 10000 DM pro Neuenburger Familie.
Nur die Beweisführung gestaltet sich in diesem Falle schwierig. Mehrere Anrufe bei zuständigen Stellen der EU wurden nicht beantwortet, von den Neuenburger Provinzbetrüger äußert sich ohnehin keiner und in Saarbrücken will man „mit dieser ganzen Angelegenheit nicht mehr belästigt werden“. Rudolf Ehrmann schrieb seine Reportage über die Auflösung des Rätsels von Neuenburg. Veröffentlicht wurde sie jedoch nicht. Er vermutet, die Liaison der Tochter seines Chefredakteurs mit einem Holzlieferanten aus der Gegend von Neuenburg könnte etwas damit zu tun haben.
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